Stabwechsel im Schafstall

Heidschnuckenschäferei Senne

Foto: Heiko Arjes

Die Heidschnuckenschäferei in der Biologischen Station Kreis Paderborn – Senne hat einen neuen Schäfer: Der 42-jährige Deutsch-Brite Mike Lindley hat im Frühjahr den Hirtenstab übernommen. Mit 500 Mutterschafen, zwei Dutzend Ziegen und seinen beiden Hunden Ronja und Skotch zieht er fortan über die Heiden der Region.

Er hütet 500 Schafe und den vielleicht größten Naturschatz Nordrhein-Westfalens. Mike Lindley hat zum 1. April den Hirtenstab der Heidschnuckenschäferei Senne übernommen. Als Teil der Biologischen Station im Kreis Paderborn ist die Heidschnuckenschäferei für die Landschaftspflege auf Teilen des Truppenübungsplatzes Senne und einiger angrenzender Naturschutzgebiete zuständig.

Neben den 500 Mutterschafen und etwa ebenso vielen Lämmern besteht das „Team“ von Mike Lindley aus zwei Dutzend Ziegen. Deren Aufgabe ist es, als mobile Landschaftspfleger mehr als 1.200 Hektar Heidefläche durch extensive Beweidung vor der Verbuschung zu bewahren und so den hohen ökologischen Wert der Offenlandschaft zu erhalten. Die behutsame Hüteschäferei ist die wohl wichtigste Naturschutzmaßnahme in jeder Heide. Und Heidschnucken sind die idealen Landschaftspfleger auf vier Beinen. Sie sind einerseits genügsam und erfreuen sich an dem, was der karge, nährstoffarme Heideboden an Pflanzenwuchs hergibt – andererseits sind sie aber stets für einen Bissen zu haben. Ihr gesegneter Appetit spiegelt sich sogar in ihrem Namen: „Schnucke“ leitet sich von „Schnökern“ ab, einem alten nord-deutschen Wort für Naschen.


Vom „Bock“ zu den Schafen

Mike Lindley hat schon an vielen verschiedenen Orten Schafe gehütet, unter anderem in der Landeshauptstadt Düsseldorf. Zu den Schafen in der Senne steigt der Deutsch-Brite aber buchstäblich vom „Bock“: Die letzten Jahre hat Lindley nämlich als LKW-Fahrer in der Schweiz und in Deutschland gearbeitet. Doch dann fehlten ihm die Schafe, Hunde und der Kontakt zur Natur zu sehr. Nun durchstreift er im gemächlichen Tempo mit seiner Herde die Heide statt auf den Autobahnen der Republik Kilometer zu fressen.

Der gemütlich auf seinen langen Hirtenstab gestützte Schäfer mit großem Schlapphut in der lila blühenden Heide: Diese Postkartenidylle bestimmt das Image der modernen Hirten. „Und zum Glück gibt es diese Momente auch wirklich“, sagt der Schäfer. „Aber es gibt eigentlich auch in jedem Moment etwas zu tun“, fügt er hinzu. Es gilt, kranke Tiere frühzeitig zu erkennen, verletzte Schafe zu verarzten, die Hunde zu dirigieren – und nicht zuletzt muss die Beweidung in jedem Augenblick so gesteuert werden, dass die Tiere nur die Spitzen der Vegetation abfressen und weiterziehen, bevor eine Stelle völlig kahlgefressen ist. „Schäfer ist kein Acht-Stunden-Job an fünf Tagen in der Woche“, sagt Lindley. „Wenn die Tiere einen brauchen, ist ein guter Schäfer da, das hängt nicht von der Uhrzeit ab – wer seine Tiere liebt, der kümmert sich auch um sie.“ Aber mal ein freies Wochenende und etwas Urlaub – das müsse heute auch für einen Schäfer drin sein, betont Lindley.

Und welche Eigenschaften muss ein guter Hüteschäfer mitbringen? Lindley zögert nicht lange: „Viel Geduld, viel Ruhe und Erfahrung am Tier und Tierliebe“, sagt der Deutsch-Brite. „Und Wetterbeständigkeit“, setzt er noch rasch hinzu. Die braucht er in der Tat. Denn nur während der Lammzeit im März stehen die Schafe eine kurze Zeit im Stall. Den Rest des Jahres verbringen sie in freier Natur – und mit ihnen ihr Hüteschäfer.  

Wieder mehr Kontakt mit Tieren und der Natur zu bekommen, war für den mit Hunden aufgewachsenen Lindley denn auch ein wichtiger Grund, in den alten Beruf zurückzukehren. Einen besseren Ort dazu hätte er kaum finden können. Denn die Senne ist nicht nur ein intensiv genutzter Truppenübungsplatz unter britischem Kommando, auf dem Soldaten aus vielen Nato-Ländern aus allen Rohren – von der Pistole bis zur Artillerie – feuern. Das insgesamt 116 Quadratkilometer große Gelände ist nach Einschätzung von Experten auch das wohl wertvollste Naturgebiet Nordrhein-Westfalens. Durch die militärische Nutzung hat sich ein Landschaftsmosaik aus Wald, Heide, Wiesen und sumpfigen Brüchen erhalten, das es andernorts kaum noch gibt. Nicht weniger als 16 europa-weit besonders gefährdete Lebensraumtypen haben Experten hier kartiert. Es klingt paradox, aber ausgerechnet auf dem Truppenübungsplatz hat die Natur ihre „Ruhe“ – jedenfalls außerhalb des Übungsbetriebs. Vor allem das Betretungsverbot und der Verzicht auf großflächige Erschließung durch Straßen und Wohngebiete hat dazu geführt, dass sich viele andernorts bereits verschwundene Tier- und Pflanzenarten in der Senne in erstaunlicher Zahl und Dichte halten konnten. 160 Pflanzen-, 35 Vogel- und sogar mehr als 230 Schmetterlingsarten der Roten Liste Nordrhein-Westfalens kommen in der Senne vor.  Der Wolf dagegen ist noch eine Ausnahmeerscheinung. Für den Schäfer ist die Rückkehr des großen Fleischfressers natürlich ein Thema. „Er gehört dazu, aber Angst vor dem Wolf habe ich nicht“, sagt Lindley. Das braucht er auch nicht, denn seit April durchstreift auch ein Tiger an Lindleys Seite die Heide: Ronja, die zweijährige ausgebildete Hütehündin von Mike Lindley gehört der uralten Hütehundrasse Deutscher Tiger an.

Text: Thomas Krumenacker

Blickpunkt

Die Heidschnuckschäferei Senne ist Teil der Biologischen Station Kreis Paderborn – Senne. Sie hat ihren Sitz in Hövelhof in unmittelbarer Nähe zum Truppen-übungsplatz Senne, dessen Flächen die Schafe fast das ganze Jahr über beweiden. Die extensive Weidewirt-schaft ist eine Schlüsselmaßnahme zur Erhaltung ökologisch wertvoller Heidelandschaften. Die NRW-Stiftung unterstützt das Projekt seit langem und stellt den Stall sowie ein Heulager für die mehr als 500 Mutterschafe und ihre Lämmer zur Verfügung.
www.bs-paderborn-senne.de