35 Kilometer Wildnis

Wanderwege durchs Siebengebirge

Foto: Willi Fuchs

Foto: Willi Fuchs

Im Jahr 2010 erklärte der Verschönerungsverein für das Siebengebirge (VVS) mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen 530 Hektar seines Waldes zu einem Wildnisgebiet. Damit findet auf rund zwei Dritteln der vereinseigenen Waldflächen keine Forstwirtschaft mehr statt. Aus Naturschutzsicht wertvolle Buchenwälder dürfen sich in Zukunft völlig eigendynamisch entfalten. Langfristig sollen so wieder Ökosysteme heranwachsen, die mit den mitteleuropäischen Urwäldern vergleichbar sind. Ein neuer 170-seitiger Wanderratgeber führt Naturinteressierte über die neuen „Wege zur Wildnis“.

Verglichen mit einer Waldgeneration ist die Ausweisung als „Wildnisgebiet“ zwar noch recht frisch, doch die meisten so geadelten Waldbestände sind entweder weitaus älter oder sie bieten bereits heute, nach einem Dutzend Jahren des Laissez-faire, spannende Einblicke in die eigendynamische Entwicklung der Ökosysteme. Was mit einem Wald passiert, den man vollständig in Ruhe lässt, ist höchst spannend und sowohl aus wissenschaftlicher wie aus Naturschutzsicht äußerst lehrreich. In der Regel steigt die Struktur- und Artenvielfalt, der Erlebniswert im Vergleich zu einem forstlich bewirtschafteten Wald nimmt deutlich zu.

„P“ wie Petersberg

Auf zwei Flächen innerhalb der Wildniskulisse schweigen Säge und Harvester sogar schon seit 35 Jahren und so sind sie in ihrer Wildnis-Entwicklung deutlich weiter fortgeschritten. Die Rede ist vom artenreichen Laubwald auf dem Nonnenstromberg und von den ausgedehnten Buchenwäldern im Bereich des Bittweges am Petersberg – zusammen über 30 Hektar intakter Altwälder. Frühzeitig erkannte der VVS den ökologischen Wert dieser Bestände und stellte sie dem Land für die wissenschaftliche Beobachtung als sogenannte Naturwaldzellen zur Verfügung. Naturwaldzellen sind repräsentative Waldflächen, in denen der Mensch Zuschauer bleibt – jegliche Eingriffe und Holzentnahmen unterbleiben. Spuren der früheren Nutzung sind aber für Fachleute bis heute erkennbar. So verrät die Stammbasis mancher Buchen am Petersberg, dass die Königswinterer Winzer hier bis ins 20. Jahrhundert „Ramhölzer“, also die Rebpfähle für ihren Wein holten. Die genannten Bestände werden von zwei der fünf Wanderrundwege berührt, wobei die Anfangsbuchstaben der beiden Berge – N und P – zugleich als Symbole dieser Wege dienen. Die anderen drei führen vom Parkplatz Margarethenhöhe bis zum Drachenfels (Weg D), um die Löwenburg (Weg L) und durch das enge und wilde Tretschbachtal (Weg T).

Ein Laboratorium der Natur

Alle fünf Rundwanderungen sind durch grün-weiße Buchensymbole markiert. Wer die QR-Codes auf den Holzpfosten und Wegeausschilderungen mit dem Smartphone scannt, öffnet die Wildnis-Webseite des Verschönerungsvereins. Hier erhalten die Nutzer und Nutzerinnen erste Informationen zum Projekt. Zur Navigation lassen sich zusätzlich auch GPX-Tracks der fünf Wege herunterladen. Wer tiefer ins Thema einsteigen will, sollte sich den 170-seitigen Wanderratgeber besorgen, der viele weitere Informationen, Beobachtungsaufgaben und spannende Rätsel für Kinder enthält. Und wessen Hunger nach Hintergrundinfos auch dann noch nicht gestillt ist, kann sich in mehrere Kapitel über die Geologie, die Böden, den Wasserhaushalt, die Buchenwälder und die Bedeutung von Totholz einlesen. Artensteckbriefe und ein Glossar zu den Fachbegriffen runden das Büchlein ab, zahlreiche Farbfotos machen das Blättern auch zu einem ästhetischen Vergnügen. Schließlich ist der Siebengebirgswald für den Fotografen Dr. Willi Fuchs, einen der Autoren des Wanderratgebers, „ein großartiges Laboratorium, in dem die Natur entwickelt, gestaltet und verwirft“ und das ihm unerschöpflich Fotomotive beschert.

Text: Günter Matzke-Hajek

Erlebnisraum Petersberg

Das ehemalige Wachgebäude des Bundesgrenzschutzes am Petersberg beherbergt heute ein multimediales und barrierefreies Besucherzentrum der NRW-Stiftung, das die Naturerbeflächen am Petersberg vorstellt. Außerdem werden Interessierte hier vor allem an die zahlreichen Ereignisse von den 1940er Jahren bis nach der Jahrtausendwende erinnert, die den Petersberg zu einem herausragenden Ort der deutschen Geschichte machten: Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzten zunächst die Alliierten das traditionsreiche Hotel als ihr Hauptquartier. Ab den Fünfzigerjahren brachte die Bundesregierung hier ihre Staatsgäste unter, und kurz nach der Jahrtausendwende fand hier die erste Afghanistan-Konferenz statt.

Das Besucherzentrum ist ein idealer Ausgangspunkt für Erkundungen des nördlichen Siebengebirges.
www.schauplatz-petersberg.de

Blickpunkt

Oberhalb von Königswinter und Bad Honnef hat der Verschönerungsverein für das Siebengebirge (VVS) im Herbst 2021 35 Kilometer Wanderwege ausgewiesen, die sich auf fünf „Wildnis-Wanderungen“ aufteilen. Dazu gibt es für 5,- Euro einen ausführlichen Wanderratgeber im Taschenbuchformat mit dem Titel „Wege zur Wildnis“: Seine Erstellung wurde von der NRW-Stiftung finanziell gefördert. Bezugsquellen und weitere Infos:
www.vv-siebengebirge.de/wege-zur-wildnis/

Schon früher unterstützte die NRW-Stiftung den VVS und seine Umweltbildungsarbeit: Im Jahr 2013 gab die Stiftung 150.000 Euro für die Sanierung des unter Denkmalschutz stehenden Forsthauses Lohrberg auf der Margarethenhöhe. Das Naturparkhaus beherbergt die Geschäftsstelle des VVS. Auch die einige Jahre zuvor konzipierte Naturpark-Ausstellung wurde von der Stiftung gefördert.