Die großen Rollen von Film, Funk und Fernsehen

Das Medienarchiv Bielefeld

Foto: MAB / Markus Poch

Foto: MAB / Markus Poch

Bielefeld ist eine pure Erfindung, es existiert nicht – so behauptet es ein hartnäckiges Gerücht seit Jahrzehnten. Doch trotz einer von der Stadt selbst ausgesetzten Millionenbelohnung konnte die sogenannte Bielefeld-Verschwörung bislang von niemandem bewiesen werden. Fest steht allerdings: In Bielefeld gibt es gewaltige Wissensspeicher über Fantasie, Fiktionen und die Fabrikation von Träumen.

Vier bis fünf große Filmrollen ergeben in der klassischen Kinotechnik einen Spielfilm. Sogar leichte Unterhaltung fällt auf diese Weise schwer ins Gewicht, denn zusammen wiegen diese Rollen mehr als zwanzig Kilogramm. Auf Festplatten und Sticks sind hingegen selbst Monumentalfilme rasch eingesteckt – zuerst in die Tasche, dann in die Schnittstelle. Trotzdem läge es MAB-Gründer und Bundesverdienstkreuzträger Frank Becker völlig fern, digital erfasstes Filmmaterial einfach zu entsorgen. Denn damit wäre künftigen Generationen die Möglichkeit für immer versperrt, dieses Material mit den ihnen zur Verfügung stehenden Techniken nach eigenen Gesichtspunkten auszuwerten.

Kinokultur in Kooperation

Frank Becker gründete schon als Teenager Mitte der 1970er Jahre einen Filmclub und fand früh Kontakt zu Filmunternehmen. Beruflich etablierte er sich als Inhaber einer Firma für Bürobedarf, doch die Lichtspiele ließen ihn nie los. 1998 wurde er mit dem „Melodie-Filmtheater“ in Bielefeld-Brackwede sogar selbst Kinobetreiber, während seine Sammlung weiter wuchs. Sie umfasst heute über 100.000 Filmrollen – darunter auch Werke des Stummfilmmeisters F.W. Murnau, der ebenso aus Bielefeld stammte wie der Tonfilmpionier Joseph Massolle. Das MAB darf aber nicht mit dem nach Murnau und Massolle benannten „MuMa-Forum“ verwechselt werden, einer weiteren filmhistorisch wichtigen Adresse in Bielefeld.

Im Laufe der Zeit förderte Becker manche Überraschung zutage. So entdeckte er 2009 in Luxemburg eine deutsche TV-Serie, die für einen Sender gedreht wurde, der nie etwas sendete: Das sogenannte Adenauer-Fernsehen wurde 1961 kurz nach seiner Gründung durch das Bundesverfassungsgericht verboten, weil seine vom damaligen Bundeskanzler maßgeblich beein­flusste Konzeption gegen die Rundfunkhoheit der Länder verstieß. Die Serie „Curd Jürgens erzählt“, von der hier die Rede ist, lief schließlich ein einziges Mal im wenig später gestarteten ZDF, danach verloren sich ihre Spuren für ein halbes Jahrhundert.

Mittlerweile erzählt Curd Jürgens auf DVD, denn das Medienarchiv hütet seine Schätze nicht nur, sondern macht sie auch zugänglich, wobei es mit einer großen Zahl von Institutionen wie etwa dem Filmmuseum Düsseldorf und der Deutschen Digitalen Bibliothek kooperiert. Eine kleine Auswahl von Filmen und Trailern ist online verfügbar, analoge Aufführungen finden im Filmtheater „Melodie“ oder – dank eines transportablen 35-Millimeter-Projektors der 1930er Jahre – auf Wunsch sogar in Privaträumen statt. Per Kurs können sich Interessierte zudem mit der klassischen Vorführtechnik vertraut machen. Bei all diesen Aktivitäten geht es stets darum, Kino-Kultur zu bewahren und lebendig weiterzuvermitteln. Genau das ist auch das Ziel der 2011 gegründeten Frank-Becker-Stiftung, die seitdem die Trägerin des ehrenamtlich betreuten Medienarchivs ist.

Bewegtes NRW

Es gibt im MAB nicht nur Spielfilme, Dokumentationen, Wochenschauen und andere bewegte Bilder. Die Sammlung umfasst auch Kameras, Vorführgeräte, Plakate, Requisiten und nicht zuletzt Tonträger (siehe Kasten). Nichts davon sollte je verloren gehen, doch am 24. August 2022 richtete ein Feuer in einem der Lagerräume des MAB erheblichen Schaden an. Zum Glück ließ sich mit viel ehrenamtlicher Hilfe ein Teil der betroffenen Bestände retten – der älteste Film über die Stadt Herford, der vor exakt 111 Jahren entstand und aus NRW-Sicht besonderen Wert hat, war bei Ausbruch des Brandes zufällig gerade nicht im Lager. Viele andere rheinisch-westfälische Filmschätze, die heute noch unerkannt zum Beispiel in Firmenarchiven liegen, dürften beim projektierten Aufbau eines Wirtschaftsfilmarchivs durch das MAB künftig noch erfasst werden. Die reichen Bestände des Bielefelder Unter­nehmens Dr. Oetker wurden bereits gesichert.

Text: Ralf J. Günther

Archivierter Schall

Das MAB ist nicht nur ein Film-, sondern auch ein Schallarchiv, in dem Tausende von Langspielplatten und Tonbändern lagern. Die Journalistin Carmen Thomas zum Beispiel, die durch die WDR-Sendung „Hallo Ü-Wagen“ bekannt wurde, hat ihr persönliches Audioarchiv 2015 nach Bielefeld gegeben – mitsamt allen 972 Ü-Wagen-Folgen. Da erscheint es nur folgerichtig, dass Frank Becker und die Mitglieder seines ehrenamtlichen Teams seit über zwanzig Jahren ebenfalls eine Bürgerfunksendung gestalten. Im monatlichen „Funkjournal“ befragen sie Prominente und Akteure jeweils eine Stunde lang, unter den Gästen war zum Beispiel Konzernchef August Oetker. Erwünschter Nebeneffekt: Mit jeder Sendung erweitert sich das Medienarchiv um die Stimme eines spannenden Zeitgenossen.

Blickpunkt

Die NRW-Stiftung half der Frank Becker-Stiftung bei der nach einem Brand erforderlichen Neuausstattung des Bielefelder Medienarchivs mit Regalen und Verpackungsmaterial. In Bielefeld haben mit dem MAB und dem Murnau- und Massolle-Form (MuMa) gleich zwei außergewöhnliche Einrichtungen zur Kinogeschichte ihren Standort. Auch das MuMa wurde von der NRW-Stiftung bereits gefördert.
www.medienarchiv-bielefeld.de