Wie in allen deutschen Bundesländern setzt sich auch in Nordrhein-Westfalen ein „Arbeitskreis Heimischer Orchideen“ (AHO) für die Erforschung und die Erhaltung der heimischen Vertreter dieser Pflanzenfamilie ein. Die Vorstände der Arbeitskreise küren jedes Jahr eine „Orchidee des Jahres“, um auf die Schutzwürdigkeit entsprechender Arten und ihrer Lebensräume aufmerksam zu machen. Die letzte Wahl fiel auf die Mücken-Händelwurz, eine auch in Nordrhein-Westfalen früher weit verbreitete, aber heute vielerorts seltene und gefährdete Art.
Der erklärungsbedürftige Name der Mücken-Händelwurz bezieht sich zum einen auf die Form ihrer unterirdischen Knollen, die an kleine Hände mit langen dünnen Fingern erinnern. Leonhart Fuchs beschrieb sie in seinem 1543 gedruckten New Kreüterbuch so: „Die wurtzeln seind anzusehen wie zwey hendlin zusamen gelegt“. Im gelehrten Latein der Apotheken hießen die getrockneten Knollen auch „Palmae Christi“, also Christushände. Mit Mücken hat die Pflanze dagegen nichts zu tun, die Blütenstände aus dichten zierlichen Blüten mit den langen, fadendünnen Spornen wurden allein wegen ihrer filigranen Textur mit einem vor Mücken schützenden Gewebe verglichen. Der wissenschaftliche Name Gymnadenia conopsea bewahrt diesen Stoff ebenfalls: Conopeum bedeutet Moskitonetz.
Ein vanilliger Duft lockt Schmetterlinge
Die Blütenstände der Mücken-Händelwurz sind schlanke Ähren aus 30 bis über 100 pinkfarbenen Einzelblüten, welche dezent und angenehm duften. Der im engen Blütensporn verborgene Nektar ist nur für Schmetterlinge mit ihrem langen Saugrüssel erreichbar. Die Blütenbesucher gehören entweder zu den Dickkopffaltern, zu den Schwärmern oder den Eulenfaltern – auf Halbtrockenrasen beobachtet man häufig auch die schwarz-rot gefleckten Widderchen an den Blüten. Kein geringerer als der berühmte britische Naturforscher Charles Darwin hat schon im Jahr 1862 den Bau der Händelwurz-Blüten und ihre Bestäubung detailliert beschrieben.
Im Tiefland fast verschwunden, im Bergland stabil
In Nordrhein-Westfalen kam die Mücken-Händelwurz früher in allen Naturräumen vor, war aber nur in den Kalkgebieten der Mittelgebirge häufig. Noch heute schmückt sie dort im Juni und Juli Magerrasen und ungedüngte Wiesen auf tonigen Böden. Die Art verträgt Bodentrockenheit, kann aber auch in wechselfeuchten Flachmooren gedeihen. Infolge der vielerorts intensivierten Landwirtschaft mit hohen Düngergaben gingen die Bestände im gesamten nordwestdeutschen Tiefland sehr stark zurück und verschwanden in manchen Regionen vollständig. So ist die Art im Niederrheingebiet ausgestorben und sowohl im Münsterland als auch im übrigen westfälischen Tiefland sehr selten geworden. Deutlich besser sieht es noch in den ostwestfälischen Kalkgebieten aus. Dort gelang es durch Pflegemaßnahmen auf Flächen der NRW-Stiftung, einen Teil der Vorkommen zu stabilisieren. So kann man die Pflanze noch in den Kalktriften bei Willebadessen im Kreis Höxter oder im Naturschutzgebiet Wulsenberg bei Marsberg im Hochsauerlandkreis bewundern. In der Eifel sind die Bestände in vielen Naturschutzgebieten in den vergangenen 20 Jahren sogar wieder gewachsen, besonders im Kreis Euskirchen um Kall, Blankenheim und Ahrhütte. Diese Erfolge sind eng mit dem Namen von Prof. Wolfgang Schumacher verknüpft. Als langjähriges Vorstandsmitglied der NRW-Stiftung initiierte er den Flächenerwerb und die regelmäßigen Pflegemaßnahmen. Sie führten dazu, dass die Mücken-Händelwurz aus den Gefährdungskategorien der aktuellen Roten Liste der nordrhein-westfälischen Blütenpflanzen entlassen werden konnte.
Text: Günter Matzke-Hajek
Blickpunkt
Die NRW-Stiftung erwarb Grundeigentum in zahlreichen Naturschutzgebieten, in denen die Mücken-Händelwurz und andere gefährdete Orchideen vorkommen, z. B. im NSG „Wulsenberg“ bei Marsberg (Hochsauerlandkreis), im NSG „Kalktriften bei Willebadessen“ (Kreis Höxter) und im NSG „Seidenbachtal“ bei Blankenheim (Kreis Euskirchen). Die Pflege dieser Flächen wird von den regionalen Naturschutzstationen organisiert. Im Jahr 2018 förderte die NRW-Stiftung zudem den Druck des prächtigen Buches „Die Orchideen Nordrhein-Westfalens“, das vom Arbeitskreis Heimische Orchideen herausgegeben wurde.
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