Zuflucht Industriebrache

 

Ausstellung IndustrieInsekten

Foto: Klaus Rieboldt

Foto: Klaus Rieboldt

Kleine Geschöpfe, ganz groß: Mit großformatigen Fotografien, detailgetreuen Insektennachbildungen in Übergröße und Erkundungstouren auf dem Gelände des ehemaligen Eisen- und Stahlwerks Henrichshütte rücken der Förderverein Industriemuseum Henrichshütte e. V. und das LWL-Industriemuseum die schwindende Artenvielfalt unter den heimischen Insekten in den Blickpunkt. Die Ausstellung „IndustrieInsekten – In einem unbekannten Land“ weckt Begeisterung für die kleinen Überlebenskünstler und lenkt zugleich den Blick auf die Biodiversitätskrise.

Kaum noch Fliegen auf der Windschutzscheibe, immer weniger Schmetterlinge auf Feld und Wiese: Der Artenschwund bleibt aufmerksamen Zeitgenossen schon länger nicht verborgen. Wissenschaftliche Untersuchungen stützen solche Alltagserfahrungen. Schon heute ist die Hälfte der bekannten Insekten bei uns bedroht, weltweit droht in den kommenden Jahrzehnten jeder dritten Insektenart das Aussterben. Doch es gibt auch Lichtblicke. Denn dort, wo die intensive Nutzung von Landschaften durch den Menschen beendet wird, siedelt sich rasch neues natürliches Leben an. Und Insekten gehören stets zu den ersten Pionieren, die sich den einst verloren gegangenen Lebensraum zurückerobern. Höchste Zeit für einen genaueren Blick auf die kleinen Geschöpfe, ohne die ein Leben auf dem Planeten kaum möglich wäre, dachte sich das Ausstellungsteam von „IndustrieInsekten“. Dazu hat es sich einen idealen Ort ausgesucht. Denn das Ruhrgebiet ist an vielen Stellen ein Paradebeispiel für beides – den Verlust von Natur und die Rückeroberung der urbanen Räume durch sie. Das gilt erst recht für den Ort, an dem das als Wanderausstellung konzipierte Projekt als erstes Station macht.

Insektensterben durch Industrialisierung

Die Henrichshütte in Hattingen wurde 1854 als Eisen- und Stahlwerk gegründet und produzierte mehr als ein Jahrhundert lang den Rohstoff, ohne den es keine Industrialisierung geben würde. 2004 – genau 150 Jahre nach seiner Gründung – schloss das Werk endgültig seine Tore. Heute ist das Hüttenwerk ein Museum in Regie des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) und selbst ein wichtiges Stück regionaler Industriegeschichte. An Orten wie diesem schließt sich ein Kreis aus Natur- und Kulturgeschichte, wie die Fotografien eindrucksvoll zeigen. Denn als ehemaliges Eisenhüttenwerk hat auch die Henrichshütte einst zu der Zer­störung von Lebensräumen beigetragen, unter der viele Tier- und Pflanzenarten bis heute leiden. „Zur Jahrhundertwende um 1900 starben in Folge der Industrialisierung viele Insekten lokal aus“, sagt der Vorsitzende des Entomologischen Vereins Krefeld, Thomas Hörren. Gerade einmal 50 Kilometer westlich der Henrichshütte lassen sich in den Sammlungen der Krefelder Insektenforscher viele der heute aus der Region verschwundenen Insektenarten noch als Präparate bestaunen (siehe Beitrag Insektengeschichten mit Zukunft). Auf den Industriebrachen der einstigen Kraftwerke indes summt und brummt es wieder – auch auf der Henrichshütte, wie etwa eine eindrucksvolle Makro-Fotografie eines Moschusbockkäfers vor der Kulisse der Industrieanlagen zeigt. Mit „IndustrieInsekten – In einem un­bekannten Land“ setzt sich der Förderverein Industriemuseum Henrichshütte e. V. engagiert für den Erhalt von Artenvielfalt und Lebensräumen ein und verbindet dabei Naturschutz und Kultur.

Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die spektakulären hochauflösenden großformatigen Fotografien der Naturfotografen Klaus Rieboldt und Ute Matzkows. Die 100 Werke zeigen Insekten dank ihres großen Formats so hautnah und eindrucksvoll, wie man sie wohl noch nie erlebt hat. Alle Aufnahmen entstanden auf einem von acht Arealen des Westfälischen Landesmuseums für Industriekultur.

Neben den Fotos und detailgetreuen, ebenfalls stark vergrößerten Insektenmodellen ermöglichen Slowmotion-Filmsequenzen oder VR-Anwendungen ein Eintauchen in die Welt der Insekten. Im Begleitprogramm können Besucherinnen und Besucher auf Insektenexkursion gehen, mehr über das Zusammenspiel von Insekten und Pflanzen lernen oder beim Bau von Insektenhotels ganz praktisch einen Beitrag zu deren Schutz leisten.

Die von der NRW-Stiftung finanziell unterstützte Wanderausstellung ist noch bis Oktober in der Henrichshütte zu sehen. Nach derzeitiger Planung wird sie im kommenden Jahr von März bis Oktober im Textilwerk Bocholt und in den beiden Folgejahren jeweils vom Frühling bis in den Herbst zunächst in der Zeche Hannover in Bochum und in der Zeche Zollern in Dortmund zu sehen sein.

Text: Thomas Krumenacker

Blickpunkt

Großformatige Fotografien, überlebensgroße Nachbildungen und spektakuläre Filmsequenzen in Zeitlupe: Die NRW-Stiftung fördert das Projekt „IndustrieInsekten“ durch die finanzielle Unterstützung für Herstellung und Präsentation der Ausstellungsexponate sowie beglei-tende Aktivitäten wie Veranstaltungen und den Druck eines Ausstellungskatalogs.
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