Baukunst für religiöse Kultur

Reihe: Gebäude im Eigentum der NRW-Stiftung

Foto: Stephan Kube

Foto: Stephan Kube

In der kleinen Stadt Telgte bei Münster in Westfalen macht ein ungewöhnliches Museum in doppelter Weise auf sich aufmerksam – als moderner Treffpunkt der Religionen und als Repräsentant international renommierter Baukunst. Das Ausstellungsgebäude wurde von dem Architekten Josef Paul Kleihues gestaltet, der auch das Museum for Contemporary Art in Chicago entwarf. Mit einem Blick auf den Telgter Kleihues-Bau setzen wir unsere Reihe über Bauwerke und Baudenkmäler fort, die als Eigentum der NRW-Stiftung für die Zwecke von Naturschutz, Heimat und Kultur genutzt werden können.

Telgte ist ein vielbesuchter Ort. Bis zu 150.000 Menschen pilgern hier alljährlich zum Gnadenbild der Schmerzensmutter mit dem Leichnam Jesu, das manche auch aus dem Roman „Das Treffen in Telgte“ von Literaturnobelpreisträger Günter Grass kennen. Zudem erreicht die Stadt an der Ems mit Ausstellungen religiöser Kultur – vor allem aufwendig gestalteter Krippen – bereits seit vielen Jahrzehnten ein großes Publikum. 1994 wurde dafür eigens ein dreigeschossiger Museumsneubau eröffnet, entworfen vom Ehrenmitglied des American Institute of Architects Josef Paul Kleihues. Das Bauwerk ist durch die Verwendung von Ibbenbürener Sandstein geprägt, es wurde mit Kupfer gedeckt und zeichnet sich durch eine teilweise verglaste Fassade aus, in der sich die barocke Wallfahrtskapelle spiegelt.

400 Jahre Hungertuch

Schon bei der Einweihung des Neubaus vor knapp dreißig Jahren dürfte bei manchen der Gedanke aufgekommen sein, dass die Bezeichnung „Krippenmuseum“ eigentlich nicht weit genug ausholte. Zwar ist die Krippenkunst durchaus ein Thema mit vielen Perspektiven – man denke etwa an die herausragende Rolle der italienischen Metropole Neapel auf diesem Feld. Doch ein Museumsbesuch in Telgte lohnte sich seit jeher aus ganz unterschiedlichen Gründen. Weithin bekannt ist vor allem das dort aufbewahrte, inzwischen exakt vierhundert Jahre alte Hungertuch von 1623. Als eines der bedeutendsten Objekte aus der Kulturgeschichte Westfalens zeigt das riesige Fastentuch auf quadratischen Feldern in „Filetstopfarbeit“ unter anderem den Leidensweg Christi sowie alttestamentarische Szenen.

Schon vor dem Zweiten Weltkrieg gab es in Telgte das „Heimathaus Münsterland“, untergebracht in einer alten Pfarrscheune, die in den 1930er Jahren vom damaligen Kölner Dombaumeister Dominikus Böhm – 1954 Träger des Großen Kunstpreises des Landes NRW – erweitert wurde. In diesem Gebäude begann die Erfolgsgeschichte der Telgter Krippenausstellungen und hier wird in einem jüngeren Anbau bis heute auch das Hungertuch präsentiert. Der moderne Kleihues-Bau entstand direkt gegenüber, und es kamen nach seiner Eröffnung bald erste Überlegungen auf, die beiden Häuser institutionell zusammenzufassen. Allerdings sollte es bis zum gemeinsamen Neustart unter dem Namen „Relígio. Westfälisches Museum für religiöse Kultur“ noch bis 2012 dauern. Der neue Name und das stark veränderte Ausstellungskonzept erweitern seitdem das Spektrum hin zu einem Religionsmuseum.

Tisch der Religionen

Nicht dass die Krippenkunst aus Telgte verschwunden wäre – ganz im Gegenteil. Aber das Museum Relígio widmet sich darüber hinaus einem weiten Themenspektrum hinsichtlich religiöser Riten und religiösem Handeln in christlichen und nichtchristlichen Zusammenhängen. Am großen „Tisch der Religionen“ ermöglichen dazu Multimedia-Darstellungen und ausgewählte Exponate vergleichende Zugänge. Gleichwohl bleiben die regionalen Bezüge gewahrt, wenn es um Westfalen als Glaubenslandschaft geht oder um die Person des „Löwen von Münster“, das heißt des münsterschen Oberhirten Clemens August Graf von Galen (1878—1946), der im Dritten Reich mit Predigten gegen die Tötung „lebensunwerten Lebens“ und gegen Gestapo-Willkür hervortrat.

Mit dem von der NRW-Stiftung finanzierten Kleihues-Bau wurde mehr geschaffen als nur eine neue Hülle für die Präsentation von Krippenkunst. Von ihm ging ein wesentlicher Impuls dazu aus, die Museumsarbeit in Telgte neu zu akzentuieren, mochte es bis zur Realisierung entsprechender Konzepte auch eine Reihe von Jahren dauern. Anders als die häufigen Fälle, bei denen von der NRW-Stiftung geförderte Bauwerke – beziehungsweise Baudenkmäler – vom Prinzip des „Bewahrens durch neue Nutzung“ profitieren, bietet der Fall Telgte ein Beispiel für die Erweiterung und Vertiefung kultureller Fragestellungen in Wechselwirkung mit moderner Architektur.

Text: Ralf J. Günther

Zwischen Rheine und Chicago

Josef Paul Kleihues bewegte sich beim Bau des Telgter Museums in heimatlichen Gefilden, wurde er doch 1933 im Münsterland geboren, und zwar in der ebenfalls an der Ems liegenden Stadt Rheine. Hier machte er sein Abitur, um anschließend in Stuttgart und Berlin zu studieren. Berlin wurde später zu einem wichtigen Schauplatz von Kleihues’ Schaffen, die Verbindung zu Westfalen riss dabei aber nicht ab, denn der Architekt war über zwanzig Jahre lang als Dozent an der Universität Dortmund tätig. Sein Museumsbau in Telgte entstand parallel zum 1996 fertiggestellten Museum for Contemporary Art in Chicago, für das man den Entwurf des Deutschen bereits 1991 ausgewählt hatte. Kleihues starb 2004 in Berlin. Sein Sohn Jan wurde ebenfalls als Architekt bekannt.

Blickpunkt

Die NRW-Stiftung finanzierte maßgeblich den Kleihues-Bau sowie den Erwerb des zugehörigen Grundstücks. Zudem half sie bei der inhaltlichen Neuausrichtung des Museums, das 2012 mit dem Telgter Heimathaus zum „Relígio – Westfälisches Museum für religiöse Kultur“ verschmolz. Gebäude und Grundstück wurden der Heimathaus Münsterland GmbH nach Erbbaurecht übertragen.
www.museum-telgte.de