Pionier des Naturschutzes mit völkischer Ideologie

Reihe: Aus dem Archiv für Naturschutzgeschichte

Foto: Stiftung Naturschutzgeschichte

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Der Verlust von Natur und traditioneller Kulturlandschaft war die treibende Kraft für das Entstehen einer Umwelt- und Naturschutzbewegung, wie wir sie heute kennen. Wesentlicher Brennpunkt und Spiegel dieser Entwicklung ist der Drachenfels im Siebengebirge. Einer der wichtigsten Pioniere des Naturschutzes, der Komponist Ernst Rudorff, gab dem Unbehagen vieler Bürgerlicher am Naturverlust eine Stimme. Dabei vertrat er aber auch Ansätze, die ein demokratischer Naturschutz nur ablehnen kann.

Wieder verschwindet eine Hecke, Bäume werden Opfer einer Straßenerweiterung und wo früher Schmetterlinge über eine bunt blühende Wiese gaukelten, wächst heute Getreide oder Mais dicht an dicht. Statt Farbtupfern aus Kornblumen oder Mohn wachsen Windräder in die Höhe: Der Verlust von Natur und Kulturlandschaften schreitet vielerorts voran und schmerzt viele Menschen. „Früher war alles besser“ – dieser Stoßseufzer liegt angesichts solcher Beobachtungen nahe. In Wahrheit sind diese Verlusterlebnisse alles andere als neu. Vor allem mit dem Beginn der Industrialisierung gewannen Naturzerstörung und die Umwandlung traditioneller Kulturlandschaften massiv an Fahrt – und damit auch die Klage über den Verlust von Natur und Heimat. Das Unbehagen an der Veränderung war sogar die treibende Kraft für die Entstehung der Naturschutzbewegung.

Das Siebengebirge und besonders der markante Drachenfels spiegeln diese Entwicklung wider wie kaum ein zweiter Ort. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts formierte sich hier bürgerschaftlicher Protest und bewahrte das Felsmassiv vor der Zerstörung durch den weiteren Abbau zur Produktion von Steinen für den Kölner Dom. Mit dem 1836 verfügten Abbauverbot entstand in dem oberhalb von Königswinter im Rheintal gelegenen Felsmassiv de facto eines der ersten Naturschutzgebiete Deutschlands.

Der Drachenfels war auch Brennpunkt weiterer Proteste, etwa gegen den Bau der Zahnradbahn, die seit 1883 den Ort Königswinter mit dem Berg verbindet. Eine Schlüsselfigur dieser Bewegung war der Berliner Komponist Ernst Rudorff (1840—1916). Er gehörte zu den führenden Stimmen seiner Zeit, die dem Verschwinden unberührter Natur und dem Schwund traditioneller Kulturlandschaft sprachgewaltig Ausdruck verliehen. Zur geplanten Zahnradbahn schrieb er in seinem Essay „Ueber das Verhältniß des modernen Lebens zur Natur“: „Man will den Drachenfels, den man bereits zu Fuß, zu Pferde, zu Esel und zu Wagen in kurzer Zeit bequem ersteigen kann, auch noch mit einer Eisenbahn beschenken, damit unter dem allgemeinen Getümmel endlich auch der letzte Rest der Poesie, die Berg und Ruine ehedem umfloss, erstickt werde und verstumme.“ Dieser Aufsatz in den Preußischen Jahrbüchern gilt heute als so etwas wie das Gründungsmanifest des Naturschutzes in Deutschland.

Auch andernorts engagierte Rudorff sich. Sowohl sein ganzheitlicher ästhetischer Ansatz wie auch seine Methoden wie beispielsweise der Kauf von Flächen sind bis heute Mittel der Wahl im Kampf um den Erhalt der Biodiversität. Hier war Rudorff einer der Vorreiter.

Naturschutz mit völkischen Motiven

Mehr als problematisch indes ist die ideologische Antriebskraft hinter dem Bemühen um Naturschutz. Rudorff argumentierte in weiten Teilen völkisch: „In dem innigen und tiefen Gefühl für die Natur liegen recht eigentlich die Wurzeln des germanischen Wesens“, schrieb er etwa. Mit dem von ihm gegründeten „Bund Heimatschutz“ (heute „Bund Heimat und Umwelt in Deutschland“) verband er das Ziel, „deutsches Volkstum ungeschwächt und unverdorben zu erhalten.“ Den Gründungsaufruf sollten Rudorff zufolge Deutsche jüdischen Glaubens und Frauen nicht unterzeichnen.

Wegbereiter und ideologischer Irrläufer: Die Naturschutzgeschichte ist ambivalent – manchmal verkörpert in einer Person. Dessen sollten wir uns bewusst sein, sagt Dr. Hans-Werner Frohn. „Heute versuchen neurechte Akteure den Naturschutz für ihre Ideologie zu kapern, um in die Mitte der Gesellschaft vorzustoßen“, warnt der Historiker und wissenschaftliche Leiter der Stiftung Naturschutzgeschichte. „Die völkische Ideologie eines Rudorff nennen sie zwar nun Ethnopluralismus, aber sie bleibt im Kern die Gleiche, nämlich eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.“

Der Blick zurück zeigt auch, dass sich unaufhaltsamer gesellschaftlicher Wandel und der Schutz zumindest von Teilen der Natur nicht ausschließen. Besichtigen lässt sich auch das am Drachenfels und seiner Umgebung. Mittlerweile ist die einst heiß umkämpfte Zahnradbahn als älteste Verbindung ihrer Art in Deutschland selbst ein Symbol für nostalgische Erinnerungen an „die guten alten Zeiten“. Um sie herum ist das Siebengebirge auf über 4.000 Hektar Naturschutzgebiet und Refugium für seltene Arten vom Hirschkäfer über die Wildkatze bis zum Wanderfalken. Und mit der Zahnradbahn lässt sich auch Schloss Drachenburg – ein Haus der NRW-Stiftung gut erreichen.

Text: Thomas Krumenacker