Billiger Wald

Nationales Naturerbe

Foto: Werner Stapelfeldt

Foto: Werner Stapelfeldt

Dort, wo im Kalten Krieg Raketen stationiert und möglicherweise sogar Atomwaffen gelagert wurden, kommt seit einigen Jahren die Natur wieder zu ihrem Recht: Der ehemalige Raketenstützpunkt Billiger Wald vor den Toren Euskirchens ist Teil des Nationalen Naturerbes. Hier dürfen natürliche Prozesse frei von menschlichen Eingriffen wieder die Oberhand gewinnen. Damit will die NRW-Stiftung selten gewordenen Tier- und Pflanzenarten auch in direkter Nachbarschaft zu den Ballungsräumen des Landes einen Platz zum Überleben sichern.

Entlang der innerdeutschen Grenze, auf panzerzerfurchten Truppenübungsplätzen und um scharf bewachte Raketenstellungen zur Feindabwehr: Ausgerechnet dort, wo das Wettrüsten zwischen Ost und West im Kalten Krieg beklemmend sichtbar wurde, konnte sich die Natur häufig am ungestörtesten entfalten. Mit dem Ende der Blockkonfrontation und der Wiedervereinigung verloren viele dieser Schauplätze ihren militärischen Zweck – nicht aber ihren ökologischen Wert als Refugien für andernorts selten gewordene Tier- und Pflanzenarten. Um sie zu bewahren, übertrug der Bund diese Liegenschaften an seine Partnerinnen und Partner im Naturschutz: die Länder, die Deutsche Bundesstiftung Umwelt oder Naturschutzverbände und Stiftungen wie die NRW-Stiftung. Diese verpflichteten sich im Gegenzug, fortan die Pflege und Entwicklung der Flächen als Nationales Naturerbe im Sinne des Naturschutzes zu übernehmen.

Der seit Jahrzehnten nicht mehr militärisch genutzte Billiger Wald vor den Toren Euskirchens ist eine von 21 Naturerbeflächen in NRW. Das Areal wurde über lange Zeit hinweg durch die Bundeswehr als Standortübungsplatz und daneben bis 1983 von den Belgischen Streitkräften als Stationierungsort für NIKE-Flugabwehrraketen der NATO genutzt. Wie für sieben weitere Gebiete des Nationalen Naturerbes hat die NRW-Stiftung die dauerhafte Verantwortung für das 84 Hektar große Areal übernommen.

Trittstein im Biotopverbund

Dem Gebiet kommt aus Naturschutzsicht auch deshalb eine besondere Bedeutung zu, weil es als eine der wenigen größeren zusammenhängenden Waldflächen am Rande der Zülpicher Börde ein natürliches Bindeglied zwischen der offenen Bördelandschaft und dem Mittelgebirge der Eifel schafft. Für viele Wildtiere sind solche Verbindungen zwischen den einzelnen Lebensräumen überlebenswichtig. Die Vielfältigkeit einzelner Lebensräume auf kleiner Fläche gehört auch zu den Markenzeichen innerhalb des Billiger Waldes. Naturnaher Laubwald, eingestreute Heideflächen und Kleingewässer bilden ein Mosaik. Ökologisch besonders wertvoll ist der hohe Anteil von Eichenwald, der auf dem überwiegenden Teil der Naturerbefläche wächst.

Das Artenspektrum ist dank der Lebensraumvielfalt hoch und wird sich mit der fortschreitenden Renaturierung weiter steigern. Die Planung für das Gebiet sieht dazu einen weitestgehenden Verzicht auf die Nutzung des Holzes sowie auf Eingriffe in die natürliche Entwicklung des Waldes vor. So soll eine Erhöhung des Totholz­anteils über die kommenden Jahrzehnte erreicht werden, um das Nahrungsangebot für viele Insekten- und Vogelarten zu verbessern und neue Lebensräume zu schaffen.

Schon jetzt von großer Bedeutung sind die durch den militärischen Übungsbetrieb offen gehaltenen Heideflächen und Wiesengesellschaften. Solche besonders geschützten Lebensraumtypen werden bundesweit immer seltener.

Während die Devise zur Renaturierung im Wald lautet, möglichst wenig zu tun, laufen die Vorbereitungen dafür, die eigentliche Raketenstellung zurückzubauen und die Flächen zu entsiegeln. Auch die Erhaltung der Heideflächen und des Grünlandes erfordern ein aktives Eingreifen. Nur durch regelmäßige Mahd oder die Beweidung mit Schafen kann eine Verbuschung und damit eine Entwertung des Lebensraums verhindert werden. Diese naturschutzkonformen Formen der Pflege helfen, die botanischen Besonderheiten des Naturerbes zu erhalten. Dazu zählen Raritäten wie das Gemeine Kreuzblümchen sowie größere Vorkommen von Wald-Läusekraut und des Gefleckten Knabenkrauts, einer Orchideenart. Viele Pflanzen locken viele Insekten an: Unter ihnen sticht die Vielfalt an Tag- und Nachtfaltern hervor. Großer und Kleiner Schillerfalter, Großer Fuchs und Kleiner Eisvogel sowie die wärmeliebende nachtaktive Spanische Flagge können ebenso beobachtet werden, wie die Zwergfledermaus und das Braune Langohr. Zu den gefiederten Besonderheiten gehören Mittel- und Schwarzspecht sowie die heimliche Waldschnepfe. Auch gibt es Hinweise, dass die Wildkatze nach langer Abwesenheit wieder ihre Schnurrhaare in Richtung einer Besiedlung ausgestreckt hat. Von der Raketenstellung zum Naturwald, vom militärischen Übungsplatz zu naturnaher Heidelandschaft: Die weitere Entwicklung des Nationalen Naturerbes Billiger Wald bleibt spannend.

Text: Thomas Kumenacker

Blickpunkt

Die NRW-Stiftung hat acht zuvor militärisch genutzte Liegenschaften im Rahmen des Programms Nationales Naturerbe vom Bund übertragen bekommen. Wie auf den anderen Naturerbe-Flächen stellt die NRW-Stiftung im Billiger Wald die natürliche Entwicklung des Areals sicher: Militärische Infrastruktur wird zurückgebaut, Altlasten werden saniert und versiegelte Flächen werden aufgebrochen, um die Rückeroberung durch die Natur zu unterstützen. Auch die Entfernung nicht heimischer Baumarten gehört zum Pflegeplan.
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