Fotografin im Fokus

Das Forum Anja Niedringhaus in Höxter

Foto: Silja Polzin

Foto: Silja Polzin

Das ostwestfälische Höxter ist keine Großstadt, umschließt mit der Welterbestätte Kloster Corvey aber einen großen Schauplatz der Geschichte. Die Abtei hatte jahrhundertelang Besitz in der Stadt, darunter ein Gebäudeensemble der Renaissance, das heute zwei moderne Kulturforen beherbergt. Eins davon erinnert seit fünfzehn Jahren an den 1917 in Höxter geborenen deutsch-israelischen Maler Jacob Pins. Das andere wurde jüngst eröffnet und ist der ebenfalls aus der Weserstadt stammenden Fotografin und Pulitzer-Preisträgerin Anja Niedringhaus gewidmet, die 2014 in Afghanistan durch ein Attentat ums Leben kam.

Dass der Adelshof „Heisterman van Ziehlberg“ in Höxter einmal eine Art Museumsquartier bilden würde, hätte noch zur Jahrtausendwende niemand prophezeien können. Der Komplex aus drei Gebäuden des 16. und 17. Jahrhunderts schien damals nach langem Leerstand einfach dem Verfall preisgegeben. Doch schon 2003 änderten sich die Perspektiven: Nachdem der jüdische Maler Jacob Pins, der 1936 vor den Nazis aus Höxter nach Palästina geflohen war, seiner Geburtsstadt viele seiner Werke vermacht hatte, gründete sich hier eine Initiative, die zwei Häuser des Adelshofes für ein künftiges „Jacob Pins Forum“ in den Blick nahm. Mit breiter Unterstützung konnte das Projekt bereits 2008 realisiert werden. Es umfasste von Anfang an auch einen Ausstellungsbereich zur jüdischen Geschichte in Höxter, der kürzlich stark erweitert wurde.

Zwischen Kundus und Wimbledon

Was blieb, war die Aufgabe, dem ehemaligen Haupthaus des Renaissancehofs, dem sogenannten Tillyhaus, ebenfalls eine Zukunft zu geben. Wiederum bewährte sich dabei das Engagement in Höxter, so dass 2017 die Gründung des „Forums Anja Niedringhaus“ erfolgte. Zusätzlich zum Jacob Pins Forum sollte im Tillyhaus eine weitere Begegnungs- und Ausstellungsstätte entstehen, die an das Lebenswerk einer aus Höxter stammenden Persönlichkeit von internationalem Rang anknüpfte – einer Persönlichkeit im Übrigen, die ihr Abitur 1986 an der gleichen Schule abgelegt hatte, auf die schon Pins gegangen war. Letzterer verließ das „König Wilhelm Gymnasium“ allerdings bereits sechzehnjährig nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933.

Anja Niedringhaus, die schon als Schülerin für die „Neue Westfälische“ fotografierte, erhielt 1990 wegen ihrer Bilder vom Fall der Berliner Mauer als erste Frau eine Festanstellung bei der European Pressphoto Agency (EPA). Zwei Jahre später begann sie aus dem blutig zerfallenden Jugoslawien zu berichten, wobei sie mehrfach in Lebensgefahr geriet und verletzt wurde. Nach einem New York-Aufenthalt im Anschluss an den 11. September 2001 ging sie – nun für Associated Press (AP) – unter anderem in den Irak, nach Pakistan, Libyen, Kuwait und Afghanistan. Zu ihren berühmtesten Aufnahmen gehören Bilder von den 2009 durch deutsche Bomben zerstörten Tanklastwagen im afghanischen Kundus. Aber auch in der internationalen Sportfotografie, die sie – etwa in Wimbledon – zum Ausgleich betrieb, machte sie sich einen Namen.

Am 4. April 2014 wurde Anja Niedringhaus, seit 2005 Trägerin des Pulitzer-Preises, von einem Mitglied der damaligen afghanischen Nationalpolizei ohne Vorwarnung erschossen, als sie in einem Auto auf die Weiterfahrt eines gesicherten Konvois wartete, der in der Provinz Chost Stimmzettel für die tags darauf anstehende Präsidentschaftswahl auslieferte. Mehrere Kugeln trafen zugleich die kanadische Journalistin Kathy Gannon, die aber überlebte. Der umgehend festgenommene Attentäter sollte zunächst die Todesstrafe erhalten, wurde auf Drängen deutscher Instanzen und der Familie Niedringhaus später jedoch zu zwanzig Jahren Haft verurteilt.

Das Tillyhaus

Leben und Werk der Ermordeten sind durch Presse, Ausstellungen und den Film „Die Bilderkriegerin“ aus dem Jahr 2021 vielen Menschen bekannt geworden. Das nach ihr benannte Forum bietet nun einen festen Ort, um Konzepte des Bildjournalismus in Krieg und Frieden differenziert auszuloten. Die Aktualität des Themas wurde bei der Eröffnung im April 2023 unter anderem von NRW-Ministerin Ina Scharrenbach betont. Beim Festakt mit prominenten Gästen sprach auch der Fotograf Muhammed Muheisen, der Niedringhaus persönlich kannte, gleichfalls mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde und die erste Ausstellung des Forums kuratierte. Marianne Thomann-Stahl aus dem Vorstand des Fördervereins NRW-Stiftung unterstrich, dass mit dem 1610 errichteten Tillyhaus ein prägendes Baudenkmal aus der Zeit der Weserrenaissance erhalten und mit weit ausstrahlender Themensetzung öffentlich zugänglich gemacht worden sei.

Der Name des Hauses erinnert an den kaiserlich-katholischen Feldherrn Johann T’Serclaes von Tilly, der 1626 in Höxter Quartier bezog – einer Stadt, die nicht zuletzt wegen des strategisch bedeutsamen Weserübergangs oft unter dem Dreißigjährigen Krieg zu leiden hatte. Tilly war allerdings schon zwei Jahre tot, als es 1634 zum besonders grausamen „Blutbad von Höxter“ kam, bei dem Truppen der katholischen Liga in der Stadt wahllos Menschen umbrachten. Die Opferzahl wird auf rund 1.100 geschätzt. Als Zeuge der Geschichte verleiht das Tillyhaus dem Forum Anja Niedringhaus eine zusätzliche historische Dimension und unterstreicht im Sinne der Fotografin: Nicht die Kriegstaten, sondern die Kriegsfolgen erfordern das genaueste Hinsehen.

Text: Ralf J. Günther

Blickpunkt

Die NRW-Stiftung unterstützte den Verein „Forum Anja Niedringhaus“ bei der denkmalgerechten Restaurierung des Tilly-Hauses in Höxter. Sie förderte zudem die „Jacob Pins Gesellschaft – Kunstverein Höxter“ bei der Einrichtung und jüngst bei der Umgestaltung der Ausstellung im Jacob Pins Forum, ebenfalls im Adelshof Heisterman von Ziehlberg.
www.forum-anja-niedringhaus.de
www.jacob-pins.de