Rasanter Wandel

Flora im östlichen Sauerland

Foto: Richard Götte

Foto: Richard Götte

15 Jahre nach der Erstauflage legt der Botaniker Richard Götte eine überarbeitete und aktualisierte Neuauflage seiner umfangreichen Bestandsaufnahme der Pflanzenwelt des östlichen Sauerlands vor. Das 600-Seiten-Werk belegt eindrücklich, wie stark Klimawandel, Intensivlandwirtschaft und geänderte Formen der Landnutzung die heimische Flora binnen kurzer Zeiträume verändern. Im Wett-lauf um das Überleben gibt es Gewinner und Verlierer.

Eigentlich verläuft der Rhythmus der Natur gemächlich. Besonders Pflanzen sind gekommen, um zu bleiben. Haben sie sich einmal in einem geeigneten Lebensraum etabliert, können sie sich dort in fast unveränderter Zusammensetzung über Jahrhunderte oder noch länger halten. 15 Jahre sind da nicht viel mehr als ein Wimpernschlag. Aber diese Zeitrechnung gilt offenbar nicht mehr uneingeschränkt, wie der Botaniker Richard Götte aus Brilon und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter vom Verein für Natur- und Vogelschutz im Hochsauerlandkreis eindrucksvoll belegen können.

Für die Neuauflage ihrer 2007 erstmals erschienenen „Flora im östlichen Sauerland“ verglichen sie die Veränderungen in der regionalen Pflanzenwelt in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten. Die Ergebnisse haben auch die Botaniker selbst erstaunt: Nicht weniger als 64 neue Pflanzenarten sind in der kurzen Zeitspanne hinzugekommen. Auf der anderen Seite starben einige Arten aus oder wurden spürbar seltener. „Wir erleben gerade einen Wandel unserer botanischen Landschaft in einem frappierenden Tempo“, sagt Götte.

Mittelmeerpflanzen im Hochsauerland

Einer der Haupttreiber der Veränderungen ist der mit dem Klimawandel einhergehende Temperaturanstieg. Immer mehr wärmeliebende Pflanzen, die ihren eigentlichen Verbreitungsschwerpunkt weiter südlich haben, schaffen den Sprung selbst in die hoch gelegenen Regionen des Sauerlandes. Ein Paradebeispiel für diese Gewinnerarten ist der Kompass-Lattich. Das auf den ersten Blick an Löwenzahn erinnernde Kraut stammt ursprünglich aus dem Mittelmeerraum und Vorderasien. Durch die (namensgebende) Nord-Südausrichtung der Blätter hat sich die Pflanze sehr gut an starke Sonneneinstrahlung angepasst und sich im Zuge gestiegener Temperaturen stetig nach Norden ausbreiten können. Auf ihrem Siegeszug hat sie in den letzten Jahren auch die Höhenlagen des Sauerlandes erklommen. Bei den Bestandsaufnahmen für die 2007 erschienene Erstauflage der Sauerland-Flora wurde das Kraut nur in den tiefen Lagen der Region nachgewiesen. „Heute finden wir den Kompass-Lattich überall im ganzen Sauerland, das ging ziemlich rasant“, sagt Götte.

Eine weitere Gewinnerart trägt den schönen Namen Kleines Liebesgras. Auch diese Pflanze ist ein Zuwanderer aus dem Süden, ein sogenannter Neophyt. Während es wahrscheinlich über Bahntransporte schon im 19. Jahrhundert auch den Weg in einige Regionen Deutschlands schaffte, waren Vorkommen des in Ritzen und Spalten sprießenden Gewächses im Sauerland vor 15 Jahren noch unbekannt. Mittlerweile macht das Gras dem heimischen Rispengras in Straßenpflaster und Bahnschotter auch im Sauerland kräftig Konkurrenz.

Neben dem Klimawandel sieht Götte vor allem die intensive Landwirtschaft und geänderte Landnutzungsformen als die Hauptgründe für den Wandel der Pflanzengemeinschaften. Der Wegfall der bäuerlichen Hofstrukturen, ganze Dörfer fast ohne Kleintierhaltung, weniger Weidetiere und eine intensive Bewirtschaftung auch der Wälder rauben vielen heimischen Pflanzen den Lebensraum. Wie bei den Vögeln sind auch unter den Pflanzen diejenigen Arten am stärksten unter Druck, die ihre Habitate im Agrarland haben. So rangieren viele einst als Unkraut geschmähte Ackerwildkräuter heute in den höchsten Kategorien der Roten Listen.

Zu den Verliererarten unter den Pflanzen zählt auch das hübsche Leberblümchen, das im Sauerland sogar seine mitteleuropäische Verbreitungsgrenze nach Westen hat. An immer weniger sonnenbeschienenen Waldlichtungen können Wanderer sich im Sauerland im zeitigen Frühling an den blau-violetten Blüten der Pflanze erfreuen. Auch wegen seiner Schönheit hat Götte ein Motiv des Leberblümchens als Titelbild für sein Werk ausgewählt. „Ich möchte erreichen, dass die Menschen Freude an der Natur bekommen“, sagt er. Vor allem aber will der Botaniker mit der Neuauflage der Sauerland-Flora den Wandel festhalten, der sich ebenso rasch wie von vielen unbemerkt gerade in der Natur vollzieht. Angesichts der Geschwindigkeit des Wandels kann sich Götte vorstellen, dass der zweiten Auflage in weiteren 15 Jahren eine dritte überarbeitete Fassung folgt. „Ausschließen möchte ich das nicht“, sagt er. „Weil die Veränderung so stark ist und sich so schnell vollzieht, muss man sie dokumentieren.“.

Text: Thomas Krumenacker

Blickpunkt

Schon 2007 hat die NRW-Stiftung die Erstauflage von „Flora im östlichen Sauerland“ gefördert. Auch die aktualisierte und in wesentlichen Teilen neu gefasste zweite Auflage wird von der NRW-Stiftung unterstützt. Für Layout, Satz, Druck und Vertrieb des 600-Seiten-Werks stellt die Stiftung 15.300 Euro bereit. Es kann für 39 Euro plus Versand beim Verein für Natur- und Vogelschutz im HSK e. V. (mail@vnv-hsk.de) bezogen werden. Auch das LWL-Landesmuseum in Münster vertreibt es.
ISBN: 978-3-940726-79-7