Vom Vereinfachen des Vervielfachens

Museum für Fotokopie im Makroscope Mülheim

Foto: Judith Büthe

Foto: Judith Büthe

Schnelligkeit ist das Ideal des Industriezeitalters, denn was lange währt, wird meistens teuer. Paradoxerweise hat aber der Temposchub selbst schon eine lange Geschichte. Die „Blitzkopie“ zum Beispiel, mit der eine Chemikerin aus dem rheinischen Leverkusen den Büroalltag revolutionierte, kam schon Mitte des 20. Jahrhunderts auf den Markt. Wodurch sich eine solche Blitzkopie von einer modernen Trockenkopie unterscheidet, und was es mit der sogenannten Copy-Art auf sich hat, zeigt das Museum für Fotokopie im Mülheimer „Makroscope“.

Kapiert? Oder nur kopiert? Die Frage hat schon viele Menschen durch Schule, Studium und Beruf begleitet. Was das Kopieren angeht, so war man dabei vor Jahrzehnten weitgehend auf Geräte am Arbeitsplatz oder im Copy-Shop angewiesen, heute sind Scanner oder die Scanfunktionen von Smartphones überall schnell zur Hand, gar nicht zu erwähnen das alltägliche „Copy and Paste“ von Datei zu Datei. Fern scheinen die Zeiten, als es noch menschliche Kopisten gab, Mönche, die ganze Bücher mit der Hand abschrieben, Notenschreiber, die Partituren vervielfältigten oder Graveure, die Gemälde in Form von Kupfer-, Holz- oder Stahlstichen reproduzierten.

Sofortkopien

Das Foto erlöste die Menschheit vom Zwang zum Abschreiben und Abzeichnen, doch eine wirklich effiziente Methode fotografischer Vervielfältigung lieferte erst das 1941 patentierte Sofortbild-Verfahren von Edith Weyde, damals Mitarbeiterin der Agfa-Photopapierfabrik in Leverkusen. Schon sechs Jahre später präsentierte der US-Amerikaner Edwin H. Land seine berühmte Polaroid-Sofortbildkamera, doch Kameralinsen wären dem blitzschnellen Kopieren nur hinderlich gewesen. Besser war es, das zu kopierende Originaldokument während der Belichtung direkt auf das Negativpapier zu legen. Und noch mehr Tempo bedeutete es, wenn der Abzug, also die eigentliche Kopie, zeitgleich mit der Entwicklung des Negativs entstand. Direkter Kontakt mit dem Abzugspapier und eine von Edith Weyde entdeckte Diffusion von Chemikalien machten es möglich.

Wegen ihrer starken Schwarzweiß-Kontraste eigneten sich Blitzkopien vor allem für Schriftstücke und Strichzeichnungen, weniger für Abbildungen, was aber ausreichte, um von einer grundlegenden Neuerung zu sprechen. Die 1901 in Prag geborene Weyde erhielt dafür 1963 den Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Photographie, auf den bald weitere Ehrungen folgten. Der Rundfunk bat die Chemikerin zum Interview, es wurden mehrere Straßen nach ihr benannt, und auf Initiative des Frauenbüros der Stadt Leverkusen trägt Weydes ehemaliges Wohnhaus seit 2009 eine Gedenktafel. Nur eine detaillierte Buchpublikation fehlte lange. Diese Lücke schloss erst der 2016 von Klaus Urbons und Jan Ehlen herausgegebene Band „Edith Weyde – Wie eine Erfinderin aus dem Rheinland die Welt veränderte“.

Trockenes Pulver

Der Schriftsetzer, Designer und Künstler Klaus Urbons ist der Initiator des Museums für Fotokopie in Mühlheim an der Ruhr, wo Kopiertechnik von der analogen Anfangszeit bis zur digitalen Gegenwart gezeigt wird. Neben einem Blitzkopierer aus dem Jahr 1952 steht hier unter anderem auch eine mächtige „Rank Xerox“-Maschine von 1953. Bemerkenswerterweise wurde die Xerografie schon vor der Blitzkopie entwickelt, wobei ihre Erfinder, der Amerikaner Chester F. Carlson und sein österreichischer Kollege Otto Kornei, auf beschichtete Fotopapiere verzichteten. Sie arbeiteten stattdessen „trocken“ (griechisch: xero), indem sie elektrische Effekte und ein hauchfeines Pulver, den sogenannten Toner, nutzten. Doch was auf die Dauer zum Standard wurde, war anfangs so wenig praxistauglich, dass die Blitzkopie, auch „Copyrapid“ genannt, in der Bürowelt bis Ende der 1950er Jahre die Nase vorn behielt.

Klaus Urbons Sammlung zur Geschichte der Fotokopie ist seit 2013 Teil des Projekts „Makroscope“ in Mülheim an der Ruhr. Man findet das Zentrum für Kunst und Technik in einem 1898 ursprünglich als Hotel errichteten Gebäude, das nach dem Zweiten Weltkrieg lange als Schreibwaren-Kaufhaus diente. 2018 konnte der Trägerverein das Haus kaufen und so dauerhaft Räume für Ateliers, Seminare, Bandproben, Filmvorführungen, Konzerte, Ausstellungen und sogar für ein Plattenlabel sichern. Das Museum für Fotokopie, das seine Exponate unter der Stuckdecke des ehemaligen Hotelspeisesaals präsentiert, hat sich unter den neuen Eigentumsbedingungen technisch und inhaltlich noch einmal neu aufgestellt. Könnte man es nicht auf seiner ungewöhnlichen Webseite im Copy-Style oder am besten direkt vor Ort selber besuchen – man bräuchte dringend eine gute Kopie.

Text: Ralf J. Günther

Blickpunkt

Die NRW-Stiftung unterstützte den „Verein Makroscope e. V.“ in Mülheim bei der Sanierung, Ertüchtigung und Einrichtung eines Ausstellungsraums im „Museum für Fotokopie“. Das Museum verfügt über eine in Deutschland und Europa einzigartige Sammlung zur Kunst- und Technikgeschichte der Fotokopie. Durch die Erfindung der „Blitzkopie“ in Leverkusen hat das Thema einen starken NRW-Bezug.  
www.makroscope.eu