Lokomotiven sind Maschinen, die sich rasch von Ort zu Ort bewegen. Museumslokomotiven hingegen sind Zeitmaschinen, die uns in die Vergangenheit versetzen – zum Beispiel in jene Tage, als sich der Schienenverkehr noch in gewaltige Dampfwolken hüllte. Die historische Lok „Kattowitz 7348“ ist so eine Zeitmaschine, deren Instandsetzung ihrem Betreiberverein, der Museums-Eisenbahn Minden, allerdings ein außergewöhnliches Maß an ehrenamtlicher Ausdauer abverlangte. Der Startschuss fiel 2004, das Ziel wurde 2023 erreicht.
Als sich der Verein „Museums-Eisenbahn Minden“ (MEM) in den 1970er Jahren formierte, endete in Deutschland gerade die Dampflok-Ära. Viele Eisenbahnbegeisterte fürchteten damals, systematische Verschrottungen könnten die traditionsreiche Technik bald völlig aus der Welt schaffen. So kam es in vielen Regionen zur Gründung von Vereinen, die sich für Museumsstrecken und Museumszüge einsetzten. Minden bot dafür besonders geeignete Anknüpfungspunkte, weil zum einen die „Cöln-Mindener Eisenbahn“ im 19. Jahrhundert als Hauptachse des rheinisch-westfälischen Schienenverkehrs gebaut worden war. Zum andern aber, weil die Stadt einen wichtigen Punkt im Verkehr der preußischen Nebenbahnen markierte, die in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg die damaligen Provinzen Westfalen und Hannover erschlossen.
Preußenzug
Der Ausdruck Nebenbahn klingt vielleicht nicht allzu spannend. Doch spätestens, wenn man den „Preußenzug“ der Mindener Museums-Eisenbahn mitsamt dem zugehörigen Personal erlebt hat, weiß man es besser. Ein Bild aus dem frühen 20. Jahrhundert wird hier originalgetreu vor Augen geführt, an dem die je nach Komfortklasse unterschiedlich lackierten Wagen besonders auffallen. Innen lässt sich der Unterschied zwischen simplen Latten und gepolsterten Bänken am eigenen Sitzfleisch erproben, wobei der Zug gemäß historischem Vorbild jedoch keine erste Klasse mit sich führt. In dieser Ausstattung ist er an seinen Betriebstagen auf Streckenabschnitten der Mindener Kreiseisenbahnen unterwegs. Zu ergänzen wäre, dass die MEM zudem über einen Standort in Preußisch Oldendorf verfügt, an dem es allerdings ganz unpreußisch zugeht, weil hier statt königlicher Dampftechnologie ein dieselgetriebener Kleinbahnzug der 1950/60er Jahre auf Neugierige wartet.
Für jede Museumseisenbahn sind fahrtüchtige Lokomotiven von grundlegender Bedeutung, am besten in Form ganzer „Lokfamilien“. Nachdem für den Mindener Preußenzug bereits die beiden einzigen in Europa betriebsfähigen Exemplare der Dampflokgattungen T 11 und T 13 zur Verfügung standen, konnte 2004 in Polen zusätzlich ein Modell aus der Baureihe T 9.3 erworben werden – gewissermaßen die Mutter der Familie. Es ist jene Lok, die nun knapp zwei Jahrzehnte später unter dem Namen „Kattowitz 7348“ in Minden eingerollt ist, heute eine absolute Rarität, obwohl einst über zweitausend Fahrzeuge dieses Typs hergestellt worden sind.
Feuer für die Feuerlose
Dass die 1908 gebaute Lok in Polen zum Verkauf stand, hatte historische Gründe: Die ehemals preußische Stadt Kattowitz fiel vier Jahre nach dem Ersten Weltkrieg an den polnischen Staat, zugleich ging die nach ihr benannte Lokomotive an die polnische Staatsbahn über. Dort verblieb sie, unterbrochen von den Jahren der Naziherrschaft, bis 1955, um anschließend einer Fabrikbahn zugeteilt zu werden. Parallel dazu erfolgte der Umbau von einer Dampflokomotive zu einer Dampfspeicherlokomotive, die das Wasser, mit dem ihr Kessel befüllt ist, nicht selbst aufheizt. Vor der Fahrt wird stattdessen durch Energiezufuhr von außen genug Dampfdruck erzeugt, um die Lok mehrere Stunden lang „feuerlos“ anzutreiben – vorteilhaft zum Beispiel in explosionsgefährdeten Umgebungen.
Die ehrgeizige Aufgabe, die stark veränderte Maschine wieder in ihren Ursprungszustand zu versetzen, um darin das Feuer einer authentischen T 9.3 zu entfachen, wäre für rein ehrenamtliche Kräfte nicht zu bewältigen gewesen. Diese Aufgabe wurde daher der „Mansfelder Lokomotiv- und Waggonbau GmbH“ in Sachsen-Anhalt übertragen, die ihrerseits mit der polnischen Firma Interlok kooperierte. Dass fast zwanzig Jahre vergingen, bis die „Kattowitz“ endlich nach Minden gelangte, hatte nicht nur mit einer Vielzahl technischer Probleme zu tun, sondern auch mit langwierigen behördlichen Genehmigungsverfahren in Deutschland und Polen. Die Corona-Pandemie tat ein Übriges. Doch unermüdlich organisierten die Mitglieder des Mindener Vereins immer wieder neue Unterstützung für ihr Projekt und fingen so steigende Kosten auf.
Festakt in Minden
Bei der Überführung von Sachsen-Anhalt nach NRW wurde die Kattowitz von zwei Diesellokomotiven in die Mitte genommen und so sicher in ihre neue Heimat dirigiert. Anfang April 2023 traf sie in Minden ein, so dass bereits am Ostersonntag eine erste Fahrt mit dem schnaubenden Neuzugang am Bahnhof Minden-Oberstadt starten konnte. Die offizielle Einweihung erfolgte bei einem Festakt am 15. Mai. Ein Schild am metallenen Leib des mobilen Denkmals weist auf die NRW-Stiftung hin, die geholfen hat, in Minden einen Eisenbahntraum in Erfüllung gehen zu lassen, der sehr lange geträumt wurde und hoffentlich noch viel länger Realität bleibt.
Text: Ralf J. Günther
Blickpunkt
Die NRW-Stiftung unterstützte den Verein „Museums-Eisenbahn Minden“ bei seinem jahrzehntelangen Einsatz für die Rettung und technische Wiederherstellung der Dampflokomotive „Kattowitz 7348“. Die Lok ist ein authentisches mobiles Denkmal, das hilft, den Fahrbetrieb des Mindener „Preußenzugs“ in historisch korrekter Weise zu sichern.
www.museumseisenbahn-minden.de