Mit den gewaltigen Dimensionen geologischer Zeiträume können sich menschliche Werke nicht messen. Und dennoch: Zwischen zwei Felstürmen der mindestens siebzig Millionen Jahre alten Externsteine in Horn-Bad Meinberg spannt sich eine kleine eiserne Brücke so selbstverständlich in luftiger Höhe, als sei sie schon immer da gewesen. Nun, zumindest seitdem die Externsteine ein Fotomotiv sind, war sie tatsächlich immer schon da, denn sie wurde bereits vor fast zweihundert Jahren von dem lippischen Landbaumeister Ferdinand Brune (1803-1857) entworfen, über den neuerdings ein umfangreiches Buch vorliegt
Der 1803 in Halle bei Bielefeld geborene Ferdinand Brune war Absolvent der Berliner Bauakademie, kam 1827 nach Detmold zur Bauverwaltung des Fürstentums Lippe und übernahm dort 1830 die Position des Landbaumeisters. Eigentlich war es nur ein „Ländchen“, dessen leitender Architekt er damit wurde, allenfalls so groß, wie der „mäßige Grundbesitz eines englischen Aristokraten“. So erschien das Fürstentum Lippe zumindest der Schriftstellerin Malwida von Meysenbug, die in jungen Jahren Brunes Mitbürgerin in Detmold war (und 1901 als erste Frau der Welt für den Literaturnobelpreis nominiert wurde). Trotzdem war Lippe mit seiner Residenzstadt Detmold ein selbständiger Staat, den eine legendäre Landesmutter – Fürstin Pauline (1769 -1820) – durch die politischen Neuordnungen im Zeitalter Napoleons und des Wiener Kongresses dirigiert hatte und der daher als einziger Landesteil des heutigen NRW nie zu Preußen gehörte.
Das Haus der Offizianten
Dass man Detmold seine Rolle als Residenz noch immer ansieht, hat nicht zuletzt mit dem Landbaumeister Ferdinand Brune zu tun. Besonders bekannt wurde er für die Umgestaltung des Detmolder ,,Neuen Palais“, der jetzigen Hochschule für Musik. Nicht weniger prägend ist jedoch sein großes „Offiziantenhaus“, das 1829/30 an prominenter Stelle unweit des Schlosses errichtet wurde, direkt neben dem „Hochfürstlich Lippischen Hoftheater“, dem heutigen Lippischen Landestheater. Die Bezeichnung des Hauses weist auf die höhergestellten Bediensteten des Fürstentums hin, denen darin Wohnungen und Arbeitsräume zur Verfügung standen. Auch der Landbaumeister selbst, nach dem das Gebäude inzwischen „Ferdinand-Brune-Haus“ heißt, wohnte dort.
Die bauliche Gestalt des Offiziantenhauses entspricht dem zurückhaltenden Klassizismus, mit dem Brune dem Umstand gerecht wurde, dass es beim „Landbau“ vor allem um die möglichst kostensparende Errichtung von Amtshäusern, Justizgebäuden, Mühlen, Schulen und sonstigen Zweckbauten ging. Brunes vielfältige Tätigkeit erstreckte sich darüber hinaus auf den Hof- und Militärbau, umfasste Planungen zur Erweiterung Detmolds über die mittelalterlichen Mauern hinaus und machte private Neubauten in der Stadt von seiner Genehmigung abhängig. Wie die Brücke an den Externsteinen anschaulich unterstreicht, galt seine Zuständigkeit im Übrigen für sämtliche Gegenden des Fürstentums.
Der Baumeister als Bürger
Brune war nicht nur herrschaftlicher Baumeister, sondern auch ein aktiver Bürger Detmolds, der sich in zahlreichen Vereinen mit wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Zielsetzungen engagierte – so vielen, dass er schließlich behaupten konnte, kaum ein Ehrenamt in Detmold noch nicht bekleidet zu haben. Man begegnete ihm nicht zuletzt im 1831 gegründeten Klub „Ressource“, in dem sich laut Malwida von Meysenbug Männer trafen, um Zeitung zu lesen, Karten zu spielen, Neuigkeiten zu besprechen und „unglaubliche Massen von Tabakswolken in die Luft zu schicken“ – Damen hatten nur sonntagabends Zutritt.
Die auf den ersten Blick etwas klischeehafte Biedermeierszenerie lässt beim näheren Hinsehen die starke politische Komponente des im 19. Jahrhundert aufblühenden Vereinswesens erkennen. Die „Ressource“ war ein Ort des Austauschs zum Beispiel über die revolutionären Ereignisse in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Brune war daran aus liberaler Perspektive interessiert, folgte aber nicht dem Beispiel seines berühmten Kollegen Gottfried Semper, der 1849 in Dresden zusammen mit dem Komponisten Richard Wagner buchstäblich auf die Barrikaden ging. Der Landbaumeister war kein Mann der radikalen Konfrontation. Wie seine Beteiligung an einem „Friedensverein für rechtliche Streitschlichtung“ zu bezeugen scheint, lag ihm offenbar mehr daran, Brücken auch zwischen Menschen zu bauen.
Text: Ralf J. Günther
Fallstudie und Werkkatalog
„Ferdinand Brune vereinte das gesamte staatliche Hochbauwesen des Fürstentums Lippe auf seine Person.“ Seine Werke waren „baukünstlerisch in ihrer ruhigen, unprätentiösen Sachlichkeit, die es vermied, schnelllebigen Moden hinterherzulaufen“. So das Urteil des Architekturhistorikers Joachim Kleinmanns, dessen Buch auf umfassendem Archivmaterial beruht. Es analysiert die Funktionsweise einer fürstlichen Bauverwaltung des 19. Jahrhunderts exemplarisch am Fall Lippe und bietet so Grundlagen für künftige Vergleichsstudien.
Der Band enthält außerdem einen umfassenden Werkkatalog Brunes, eines Zeitgenossen von Karl Friedrich Schinkel und Gottfried Semper, der nach den Ergebnissen Kleinmanns aber vor allem von David Gilly beeinflusst wurde, dem ehemaligen Leiter der Berliner Bauakademie und Verfasser eines Handbuchs der Landbaukunst.
Dr. Joachim Kleinmanns ist Fachstellenleiter für Baugestaltung und Denkmalpflege beim Lippischen Heimatbund. Die NRW-Stiftung förderte mit dem reich bebilderten Band über Ferdinand Brune einen grundlegenden Beitrag zum architektonischen Erbe des ehemaligen Fürstentums Lippe und seiner Hauptstadt Detmold.