Auf den Höhen des Sauerlandes haben sich Reste alter Heiden und lichte Mischwälder erhalten, die durch die traditionelle Hute-Beweidung entstanden sind. Der Sauerländische Gebirgsverein (SGV) und das Naturschutzzentrum Märkischer Kreis haben es sich zur Aufgabe gemacht, diese artenreichen Lebensräume wiederzubeleben und damit auch eine alte Kulturlandschaft wieder sichtbar werden zu lassen.
Nördlich des Altenaer Stadtteils Dahle eröffnet sich Wanderern ein ungewöhnliches Panorama: Statt durch düstere Fichtenforste oder über kahle Windwurfflächen zu streifen, schweift der Blick im Naturschutzgebiet „Auf dem Giebel“ hinab auf ein von einem Quellbach durchströmtes, sattgrünes Tälchen. Dahinter erstreckt sich ein Mosaik aus lichtem Laubwald und offener Heide, auf der Wacholder wächst und uralte, mächtige Eichen in den Himmel ragen. Diese Reste einer von wertvollem Grünland flankierten Heidelandschaft inmitten des Nadelforstes ist ein Relikt einer einst verbreiteten Landnutzungsform: der Waldweide oder Hute-Beweidung. Von der Jungsteinzeit bis in die Neuzeit nutzten Menschen die Ressourcen des Waldes, um ihr Vieh zu mästen. Schweine, Gänse und Rinder wurden in den Wald getrieben und ernährten sich von Eicheln, Bucheckern und dem saftigen Grün junger Bäume. Über Jahrhunderte hinweg formte die Weidewirtschaft so eine heute fast verschwundene Landschaft, die sich durch lockere, lichte Wälder und weitgehend offene, mit Gräsern und Heidekraut bewachsene Heiden mit verstreuten mächtigen Solitärbäumen auszeichnet.
Wald, wo einst Heide blühte
Mit Unterstützung der NRW-Stiftung erwarb der SGV in den vergangenen Jahren schrittweise rund 12 Hektar Flächen innerhalb des Naturschutzgebietes. Gemeinsam mit dem Naturschutzzentrum Märkischer Kreis e. V. arbeiten die SGV-Aktiven daran, dem Gebiet seinen früheren Charakter zurückzugeben und der traditionellen Hute-Weide zu einem Comeback zu verhelfen. Archive belegen, dass diese Landnutzung noch vor nicht allzu langer Zeit auch im Sauerland verbreitet war. Das preußische Kataster weist für die Zeit um 1830 allein für den Raum um das Naturschutzgebiet „Auf dem Giebel“ etwa 1.500 Hektar Heideflächen aus.
Neben der Bewahrung einer alten Kulturlandschaft gibt es einen weiteren guten Grund für eine Renaissance der Waldweide: Hutewälder sind Hotspots der Artenvielfalt. Die Beweidung setzt eine Kettenreaktion in Gang, die eine große Vielfalt von Lebewesen unterstützt. Lichtliebende Pflanzen finden auf Heide und Grünland ebenso einen Lebensraum wie Libellen, Wildbienen und Vögel. Der Dung der Weidetiere reichert den mageren Boden mit Nährstoffen an und zieht Insekten an, die wiederum die Nahrungsgrundlage für Vögel schaffen. „Auf dem Giebel“ lassen sich noch einige der gefiederten Schätze der traditionellen Kulturlandschaft entdecken. So besiedeln Neuntöter und Baumpieper das Gebiet – andernorts selten gewordene Arten, die auf ein Leben im Grenzbereich zwischen Wald und Offenland spezialisiert sind. Um die ganze Vielfalt früherer Zeiten im Gebiet wiederherzustellen, bedarf es wahrscheinlich noch viele Jahre harter Arbeit, sagt der Leiter des Naturschutzzentrums des SGV, Josef Räkers. Jahrhunderte ohne Waldweide lassen sich nicht über Nacht rückgängig machen. Auch das Landesumweltamt konstatiert, dass durch die Aufgabe der Waldweide zahlreiche Heideflächen überwachsen seien. Mit Pflanzenarten wie dem Behaarten Ginster, der Preiselbeere und dem Wacholder haben aber auch einige typische Bewohner traditioneller Hutelandschaften überlebt, die heute auf der Roten Liste der bedrohten Arten stehen. Im Grünland zeugen Dreizahn und Borstgras von der ökologischen Qualität des nährstoffarmen Standortes.
Um die naturnahe Entwicklung zu fördern, hat das Naturschutzzentrum Märkischer Kreis ein Konzept entwickelt, das auch eine Pflege durch Beweidung vorsieht. Neben den bereits bisher von einer Mutterkuhherde beweideten Parzellen werden momentan weitere Bereiche durch Zäunung und Gespräche mit den Behörden für die Beweidung vorbereitet.
Eine Katastrophe als Helfer
Einen Schub für das Wiedererstehen einer Hutelandschaft könnte auch eine der größten forstlichen Katastrophen seit Jahrzehnten bringen. Durch den Orkan Kyrill entstanden 2007 „Auf dem Giebel“ großflächige Windwurfflächen auf früheren Heiden. Gemeinsam mit der Biologischen Station kartiert der SGV derzeit, wie sich die vom Sturm abgeräumte Fläche in eine Heide zurückentwickeln ließe, berichtet Räkers. „Nicht heidetaugliche Baumarten wie Fichte und Birken werden durch das Ringeln der Rinde zum Absterben gebracht, um Platz für Eichen und Buchen als zukünftige Solitärbäume der Heide zu schaffen“, erläutert der SGV-Naturschützer. Für den weiteren Landschaftsumbau könnte dann auch hier in Zukunft die Beweidung sorgen.
Text: Thomas Krumenacker
Blickpunkt
Die NRW-Stiftung unterstützt seit längeremdie Initiative des Sauerländischen Gebirgsvereins, die vorhandenen Reste strukturreicher Mischwälder im Sauerland zu erhalten. Dazu wurden in den vergangenen Jahren schrittweise rund 12 Hektar Flächen imBereich des Naturschutzgebietes „Auf dem Giebel“ erworben. Unter der Obhut fachkundiger Naturschützer soll sich dort in den nächsten Jahrzehnten wieder ein reichhaltiges Mosaik aus Heide, Wald und Grünland mit einer hohen Artenvielfalt entwickeln.