Vor fast zweihundert Jahren begann in Deutschland die Kaltbandzeit, man könnte auch sagen: der Triumph des Blechs. Es bahnte nicht nur vielen traditionellen Wirtschaftszweigen den Weg zu mehr Effizienz, sondern legte auch die Grundlagen für ganz neue Branchen. Die Pioniere der Technik konnten allerdings nicht ahnen, dass ein Verfahren, das anfangs vor allem modischen Reifröcken zugutekam, den menschlichen Alltag einmal völlig verändern würde – mit Produkten vom Haushaltsgerät bis hin zur Automobilkarosse.
Für Kaltband braucht man Warmband, heißt es im Deutschen Kaltwalzmuseum, das 2024 auf dem Gelände des LWL-Freilichtmuseums Hagen neu eröffnet wurde. Der Ausdruck „Band“ steht dabei für lange Blechbahnen, die zu tonnenschweren Rollen aufgewickelt werden, den sogenannten Coils. Das Vorprodukt ist das im Stahlwerk unter Hitzeeinwirkung gefertigte Warmband. Erst wenn letzteres durch trickreiches Knicken, Strecken und Beizen vom rostähnlichen „Zunder“ gereinigt worden ist, kann der Kaltwalzbetrieb seinen Trumpf ausspielen – die ganz gewöhnliche Raumtemperatur. Denn bei Normalgraden lässt sich Stahl zu weitaus dünneren, gleichmäßigeren und exakteren Blechen formen als bei glühender Hitze. Hat das Kaltband die erwünschten Eigenschaften erlangt, wird es erneut aufgewickelt und als Halbfabrikat an die weiterverarbeitende Industrie geliefert – für Dosen, Rohre, Schilder, Federn, Gehäuse und unzählige andere Produkte.
Krupp an Hüsecken
Allerdings – vor zweihundert Jahren gab es noch kein Warmband. Am Anfang stand vielmehr ganz einfach der Versuch, Draht flach zu verformen. Woher jedoch geeignete Walzen nehmen? Die Antwort geht aus einem Brief hervor, den der Fabrikant Alfred Krupp 1830 an den Drahtzieher Johann Peter Hüsecken in Hohenlimburg (früher einfach Limburg) richtete. Man findet das historische Dokument auch im Museum, stilgerecht reproduziert auf einer Metalltafel. Krupp klagt im Text über die finanziellen Verluste, die ihm Hüseckens Wunsch nach sehr harten Walzen beschert habe. Der Kunde dürfe aber zufrieden sein: Zwei Exemplare – so hart, dass tagelang an ihnen geschliffen werden musste – seien tatsächlich geglückt. Wie wir wissen, waren die beiden Stücke nur etwa zwanzig Zentimeter lang. Doch Krupp setzte hinzu: Fortan könne er jede Walze aus Gussstahl machen, egal wie groß. Hüsecken wollte mithilfe der kleinen Walzen sogenannte Weberblätter herstellen, mit denen an Webstühlen die Fäden zusammengeschoben werden. Indes steckte im Kaltwalzverfahren weitaus mehr Potenzial – kurioserweise zunächst ausgerechnet im Zusammenhang mit der „Krinoline“, jenes ausladenden Reifrocks, der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Damenmode Triumphe feierte. Weitgespannte und dennoch leichte Krinolinen, die schickliches Niedersetzen nicht zum Wagnis machten, ließen sich mit dünnem, übereinander schiebbarem Stahlband einfacher kreieren als mit dem zuvor meist verwendeten Fischbein.
Drahtrollen und Drahtzieher
Die Entwicklung des Kaltwalzens in Hohenlimburg konnte an die jahrhundertelange Tradition der Drahtherstellung im märkischen Sauerland anschließen. Der erwähnte Johann Peter Hüsecken (1768–1840) war Besitzer einer „Drahtrolle“, wie man seinerzeit die Werkstätten nannte, in denen dünne Stahlstangen so lange durch schmal zulaufende Öffnungen gezwängt wurden, bis aufrollbarer Draht entstand. Drahtzieher war man dadurch allerdings nur im handwerklichen Sinn. Als Synonym für eine graue Eminenz entstammt der Begriff der Marionettenbühne, die leblos bliebe, würde dort niemand die Strippen ziehen.
Auf dem Höhepunkt
Das Museum inszeniert in mehreren Räumen die weitere Evolution des blechernen Zeitalters, von Konservendosen über Spielzeuge bis hin zu Autokarosserien, letztere repräsentiert durch die metallenen Rundungen eines VW Käfers. Man kann hinzufügen: Den Gegenpol markierte der Trabant alias Trabi, der auch deshalb jahrzehntelang im Duroplast-Kleid anrollen musste, weil in der DDR Tiefziehbleche nur eingeschränkt verfügbar waren. In einer gesonderten Bild-Ton-Station schildert die Ausstellung schließlich die Gegenwart der modernen, computergestützten Kaltbandherstellung, die ihren deutschen Schwerpunkt bis heute in Hohenlimburg hat.
Seinen ursprünglichen Standort auf Schloss Hohenlimburg hat das 1988 erstmals eröffnete Kaltwalzmuseum 2017 aufgegeben und ist nun nach Hagen umgesiedelt. Hier nimmt es im LWL-Freilichtmuseum räumlich gesehen erneut einen Spitzenplatz ein, fast so wie auf der mittelalterlichen Höhenburg: Man findet die Ausstellung am höchsten Punkt des 42 Hektar großen Museumsgeländes im historischen Haus Lethmate, das bis 2005 eine Gastronomie beherbergt und seither leer gestanden hatte. Es ist Zeit, den Schrottmops vorzustellen: Grate und Unebenheiten an den Kanten von frisch gewalztem Kaltband werden durch „Besäumen“, sprich: durch Beschneiden entfernt. Man verfährt dabei möglichst materialsparend, damit es dem schrottgierigen Mops nicht zu wohl wird. Denn der besteht aus den langen, feinen Metallschnüren, die beim Schnittvorgang anfallen und anschließend aufgewickelt werden – der Rollmops lässt grüßen.
Text: Ralf J. Günther
Blickpunkt
Die NRW-Stiftung stellte auf Antrag des „Förderkreises Deutsches Kaltwalzmuseum“ Mittel für die Einrichtung der Kaltwalz-Ausstellung am neuen Standort im Haus Letmathe des LWL-Freilichtmuseums Hagen zur Verfügung. Der Ort Hohenlimburg – bis heute ein Zentrum der deutschen Kaltbandproduktion und bis 2017 auch der Sitz des Kaltwalzmuseums – ist ein Stadtteil von Hagen. Im Hagener Freilichtmuseum gibt es außerdem die Möglichkeit, eine historische Drahtzieherei zu besichtigen.
www.lwl-freilichtmuseum-hagen.de
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