Die bronzenen Städte

Inklusive Tastmodelle unter freiem Himmel

Foto: Christian Janusch

Foto: Christian Janusch

Mit Metall schwer gerüstet, trotzdem berührbar und offen für alle – es klingt ebenso feierlich wie paradox, gehört aber in vielen Städten und Gemeinden längst zum Alltag: Die Rede ist von Tastmodellen, die es auch Menschen mit geringer oder fehlender Sehkraft ermöglichen, sich über Straßen, Plätze und Bauwerke zu orientieren. In ihrer dreidimensionalen Anschaulichkeit sind diese Modelle für Sehende dabei nicht minder interessant. Wir stellen in Bronze gegossene Schauplätze nordrhein-westfälischer Geschichte und Gegenwart vor.

Heimat ohne Hindernisse – damit sind nicht nur geebnete Wege gemeint. Menschen sollen sich vielmehr ihren individuellen Möglichkeiten gemäß sehend, hörend und tastend informieren können. Doch gerade dem Tastsinn werden oft Grenzen gesetzt, etwa wenn es in Museen heißt: Bitte nicht berühren. Wobei diese Aufforderung keineswegs nur für unwiederbringliche Werke oder Objekte gilt, sondern oft auch für Installationen, die eigentlich nur zur Veranschaulichung von Bauwerken, Maschinen oder Ortsbildern dienen. Solche Modelle bestehen fast immer aus Materialien, die dauernden Berührungen nicht lange standhalten würden. Undenkbar, sie auch noch unter freiem Himmel aufzustellen.

Inklusion als Aufgabe

Trotzdem gibt es mittlerweile in vielen Städten und Gemeinden taktile, das heißt tastbare Modelle für alle diejenigen, denen Karten und Pläne auf Papier oder Displays nicht genügen. Die meisten dieser Modelle, die auch Textinformationen in Blindenschrift bieten, verdanken ihre Widerstandskraft gegen Wind, Wetter und Berührungen dem Material Bronze – so auch in der Eifelstadt Nideggen, wo seit 2017 das erste von der NRW-Stiftung geförderte Modell dieser Art steht. Es zeigt im Maßstab 1 zu 600 die historische Nideggener Altstadt samt Burg und Kirche. Die Initiative dazu ging vom „Lions-Hilfswerk Kreuzau-Rureifel“ aus, das dabei mit dem „Heimat- und Geschichtsverein Nideggen“ sowie der Stadt Nideggen kooperierte.

Unterstützt wurde auch ein Tastmodell für die alte Zollfeste Zons am Rhein, gegenüber von Monheim. Die dreidimensionale Bronzearbeit aus der Künstlerwerkstatt Broerken (siehe Kasten) steht seit 2018 auf dem Rheintorplatz, wo die meisten Menschen, die Zons besuchen, ihren Rundgang beginnen. Das Modell nimmt eine Fläche von gut einem Quadratmeter ein und ruht auf mehreren Basaltstelen sowie einem Betonfundament – physisch gesehen. Ideell kann es sich vor allem auf das breite bürgerschaftliche Engagement im „Förderverein Denkmalschutz Stadt Zons“ stützen.

Modelle für Pfalz und Salz

Bronzemodelle repräsentieren nicht nur ganze Stadtbilder, sondern auch Einzelbauwerke. So hat der Förderverein der Kaiserpfalz in Düsseldorf-Kaiserswerth jüngst ein Doppelmodell in Auftrag gegeben, um die mittelalterliche Feste sowohl im heutigen Zustand, als auch zum Zeitpunkt ihrer größten baulichen Ausdehnung zu dokumentieren. Die NRW-Stiftung, die bereits ein Leitsystem durch die Kaiserwerther Ruinen aus dem 12. Jahrhundert gefördert hat, unterstützte auch das neue „Modellprojekt“, für das die renommierte Düsseldorfer Kunstgießerei Schmäke gewonnen wurde. Die Vorarbeiten zur baulich korrekten Gestaltung des Modells erfolgten in Kooperation mit dem Bereich Architektur der Hochschule Düsseldorf.

Bronzemodelle entstehen per Gussverfahren, nicht durch die Montage von Einzelteilen. Besonders filigrane Strukturen sind daher eine Herausforderung wie jüngst in Bad Sassendorfbei Soest – einem jener Orte am westfälischen Hellweg, wo man schon im Mittelalter Wasser aus salzhaltigen Quellen siedete, um weißes Gold zu gewinnen. Zur Senkung des Brennholzbedarfs konzen­trierte man die Sole seit dem 17. Jahrhundert vorab durch Verdunstung, indem man sie an riesigen Wänden aus Reisigbündeln herabrieseln ließ. Heute dient die salzhaltige Luft an diesen „Gradierwerken“ für Inhalationskuren. Als die baufällige alte Sassendorfer Gradieranlage vor wenigen Jahren zur Aufrechterhaltung des Kurbetriebs durch eine neue ersetzt werden musste, initiierte der „Förderverein Westfälische Salzwelten“ parallel dazu die Aufstellung eines Tastmodells, das für den Künstler Felix Broerken aufgrund der vielfach durchbrochenen Oberfläche eine diffizile Aufgabe war. Das Modell zeigt übrigens auch die Sassendorfer „Bördetherme“, mit der das neue Gradierwerk verbunden ist.

Sündiges Dorf und Freudenberg

Wenn wir uns nun in den Kölner Stadtteil 705 begeben, so ist damit Eil im rechtsrheinischen Bezirk Porz gemeint. Eil ist der flächenmäßig größte Kölner Stadtteil, er liegt in unmittelbarer Nähe zum Naturschutzgebiet Wahner Heide, aber auch zum Kölner Flughafen. Es gibt hier zudem eine Autobahn und eine verkehrsmäßig stark belastete Ausfallstraße. Kaum zu glauben daher, dass Eil einst nur ein Dörfchen auf einer Rheininsel war, in dem die Menschen als Tagelöhner und Besenbinder lebten, zuweilen auch als „Eiler Wilddiebe“, wie die Chroniken berichten. Die Bezeichnung „sündiges Dorf“ soll hingegen auf den einstmals sehr starken Alkoholausschank in Eil zurückgehen.

Den kleinteiligen dörflichen Urzustand von Eil verdeutlicht seit kurzem ein Bronzetastmodell, das aufgrund einer Kartenskizze aus dem Jahr 1773 erstellt wurde. Gerade einmal 24 Häuser hatte die Siedlung damals. Man kann sie im Modell binnen weniger Sekunden abzählen – der Kontrast zur Gegenwart ließe sich plastischer nicht zum Ausdruck bringen. Realisiert wurde das Modell inklusive Braillebeschriftung durch die Kunstgießerei Plein in der Eifel. Den Auftrag erteilte der 1986 gegründete „Ortsring Eil, Verein für Heimatpflege“, der das Modell im September 2022 offiziell einweihen konnte.

Auf das sündige Dorf folgt zuletzt noch ein Freudenberg, weil in der siegerländischen Stadt dieses Namens neuerdings ebenfalls ein von der NRW-Stiftung gefördertes Tastmodell steht. Freudenberg ist vor allem durch den sogenannten Alten Flecken bekannt, den Altstadtbereich, in dem sich die Fachwerkhäuser an einem Hang ungewöhnlich regelmäßig übereinander staffeln. Die verblüffend symmetrische Anordnung, die zu den häufigsten Fotomotiven in NRW gehört, ist seit dem Sommer 2022 auch zu ertasten – das Modell des Künstler Nils Hoy macht es möglich. Es gehört zum Erfahrungsfeld der Sinne, das auf Initiative des Vereins „KulturFlecken Silberstern“ im Freudenberger Bürgerpark entstanden ist. Hier ergänzt es optische und akustische Installationen gezielt um eine Station für den Tastsinn.

Text: Ralf J. Günther

Verlorene Formen

Tastmodelle aus Bronze entstehen im Wachsausschmelzverfahren, bei dem – stark vereinfacht gesprochen – das darzustellende Objekt zunächst in Wachs modelliert, danach ummantelt und schließlich ausgeschmolzen wird. In die leere Ummantelung gießt man anschließend die Bronze, der Mantel selbst wird zum Schluss zerschlagen und damit zur „verlorenen Form“. Unter den verschiedenen Werkstätten, die Tastmodelle so herstellen, ist diejenige des Künstlers Egbert Broerken und seines Sohns Felix in Welver bei Soest besonders bekannt geworden. Ihre Arbeit beruht nicht zuletzt auf dem Austausch mit der Westfälischen Blindenschule in Soest.

Blickpunkt

Die Förderung von Projekten zur Inklusion sowie von Maßnahmen zur Barrierefreiheit gehört seit 2013 zu den satzungsgemäßen Aufgaben der NRW-Stiftung. Dadurch wurde auch die finanzielle Unterstützung von Tastmodellen in Zusammenarbeit mit Antragstellern aus unterschiedlichen Gemeinden möglich. Die Modelle wenden sich an Menschen mit und ohne Sehvermögen und sind beliebte touristische Anziehungspunkte.