Denkmalschutz und die Kunst der Welt

Künstlerdorf Schöppingen

Foto: NRW-Stiftung / Stefan Ast

Die Nordrhein-Westfalen-Stiftung unterstützt seit 1986 ehrenamtliche Initiativen, die sich für Natur, Heimat und Kultur einsetzen. Verschiedene Vereine und Institutionen kümmern sich dabei auch um Naturflächen und Bauwerke, die von der NRW-Stiftung erworben wurden, um sie vor Zerstörung oder Verfall zu bewahren. Mit dem folgenden Beitrag beginnen wir eine Serie über Vergangenheit und Gegenwart von Baudenkmälern im Stiftungseigentum. Viele außergewöhnliche Geschichten über Orte und Menschen in NRW lassen sich dabei erzählen. In der ersten Folge steht das Künstlerdorf Schöppingen im Mittelpunkt.

Kunst im Dorf – dabei kann man an traditionelles Kunsthandwerk denken, an Töpferwaren, Möbelmalerei oder Schnitzarbeiten. Doch auch die große Kunst zog es im Laufe der Geschichte immer wieder aufs Land. Der vielleicht berühmteste Fall ist das französische Dorf Barbizon, wo im frühen 19. Jahrhundert bedeutende Namen der Landschaftsmalerei Grundlagen für den späteren Impressionismus legten. Unter den ländlichen Künstlerkolonien Deutschlands wurde vor allem Worpswede bei Bremen weithin bekannt. Die Verbindung von Kunst und Dorf beschränkt sich also keineswegs nur auf lokale Perspektiven – schon gar nicht im Künstlerdorf Schöppingen, wo sich kreative Menschen aus der ganzen Welt treffen.

Kunstresidenz

Anders als bei klassischen Künstlerkolonien wie Barbizon oder Worpswede handelt es sich beim Künstlerdorf Schöppingen um eine Einrichtung nach dem „Artist-In-Residence“-Prinzip: Professionelle Kunstschaffende erhalten bis zu sechs Monate lang Wohnung und materielle Grundversorgung (zur Zeit 1.500 Euro), um im Künstlerdorf Zeit und Ruhe für Ideen, Projekte und Begegnungen zu finden. Im Gegenzug besteht „Residenzpflicht“, sprich: Wer ein Stipendium hat, soll sich tatsächlich vor Ort aufhalten, ohne dass es allerdings Bedingung wäre, bestimmte Werke zum Abschluss zu bringen. Wobei es in Schöppingen nicht nur um die bildenden und visuellen Künste geht, sondern auch um Literatur und Musik, nicht selten medial übergreifend. Fachjurys entscheiden über die Vergabe der Stipendien, für die es Interessenten aus allen Erdteilen gibt.

Nach gut drei Jahrzehnten beläuft sich die Gesamtzahl der Schöppinger Aufenthaltsstipendien auf mittlerweile rund 800. Bedeutende Namen standen auf der Gästeliste, so etwa der Schriftsteller Reinhard Jirgl, der 1994 in das Dorf kam – damals schon Träger des Alfred-Döblin-Preises, später unter anderem noch mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Für die bildende Kunst ließe sich Norbert Bisky nennen, heute einer der wichtigsten Maler Deutschlands. Hervorzuheben ist aber vor allem die internationale Anziehungskraft der Kunstresidenz. So wurden hier 2021 – um nur zwei Namen zu nennen – die Schriftstellerin Maria Rojas aus Venezuela und die Künstlerin Géraldine Tobe Mutumande aus Kinshasa begrüßt. Insgesamt stehen jährlich nur rund vierzig Stipendien zurVerfügung, die Zahl der ausreichend qualifizierten Bewerbungen liegt weit darüber.

First Lady im Vorstand

Doch warum ausgerechnet Schöppingen, eine kleine münsterländische Gemeinde nahe der niederländischen Grenze? Und wie sieht das Künstlerdorf eigentlich genau aus? Zwei denkmalgeschützte Gutshöfe aus dem 19. Jahrhundert, die mitsamt Neben-gebäuden die eigentliche Anlage bilden, geben die Antwort. Denn ohne den Schulzenhof Johann und den Hof Dorfkönig hätte die 1983 in Schöppingen diskutierte Idee, „Stadtkünstler“ und „Stadtschreiberinnen“ in die Gemeinde zu holen, nicht eine Eigendynamik entwickeln können, die am Ende zu etwas weitaus Größerem führte: 1989 konnte das „Künstlerdorf Schöppingen“ seine Tätigkeit aufnehmen. Die Mittel zum denkmalgerechten Ausbau der beiden Höfe kamen dabei aus Stadterneuerungsmitteln des Landes NRW. Die Landesregierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten JohannesRau setzte sich dafür ein, Kulturprojekte von über-regionaler, deutschlandweiter oder gar internationaler Bedeutung auch im ländlichen Raum zu entwickeln.

Als Träger des Künstlerdorfs fanden sich zunächst die Gemeinde Schöppingen, der Kreis Borken und der LWL zusammen. Kurz danach kam der „Förderverein Künstlerdorf Schöppingen“ hinzu, dessen Vorsitz die damalige First Lady des Landes NRW – und spätere First Lady ganz Deutschlands – Christina Rau übernahm. Die erste Partnerin des Fördervereins war die NRW-Stiftung, die zur dauerhaften Sicherung des Projekts entscheidend beitrug, indem sie 1991 zunächst den  Schulzenhof Johann und sieben Jahre später außerdem den Hof Dorfkönig in ihr Eigentum übernahm. Das Gebäudeensemble repräsentiert zwar historische Architektur, beherbergt aber kein vormodernes Idyll, sondern eine Lebens- und Arbeitswelt mit künstlerischer Infrastruktur. Insgesamt stehen sechs Appartements für Autoren und Autorinnen, sechs Wohnateliers für Ausübende der bildenden Künste sowie zwei weitere, größere Wohneinheiten zur Verfügung. Darüber hinaus gibt es Veranstaltungs- und Ausstellungsräume, eine Galerie, ein kleines Kino, einen Bühnenraum und Werkstätten.

 

Kraftwerk Künstlerdorf

Neugierig geworden? Nun, die Öffentlichkeit darf zwar nicht einfach unangemeldet kreative Prozesse bestaunen, doch bei Führungen, Workshops, Ausstellungen und Lesungen kann man das Künstlerdorf kennenlernen, sogenannte „Brunch und Dinner“-Termine eröffnen sogar Möglichkeiten zu intensiverem Austausch. Jährlich unterrichtet zudem eine Publikation über Stipendien und Programme sowie über spezielle Veranstaltungen für Kuratorinnen und Kuratoren. Der Verkauf einer künstlerischen „Jahresedition“ trägt zur finanziellen Unterstützung der Einrichtung bei. Die kreativen Fragestellungen, denen man dort nachgeht, haben sich im Laufe der Jahrzehnte verändert und erweitert. So befasste sich etwa das Projekt „Kraftwerk Künstlerdorf“ mit Fragen moderner Energiegewinnung. Doch möchte das Dorf keinesfalls den Eindruck einer geschlossenen Gesellschaft mit durchweg gemeinsamen Vorstellungen und Anschauungen erwecken. Ganz im Gegenteil: Vielfalt ist das Markenzeichen des schöpferischen Schöppingens.

Text: Ralf J. Günther

Getragen und vernetzt

Es ist an dieser Stelle nicht möglich einen vollständigen Überblick über alle Organisationen zu geben, die das Künstlerdorf Schöppingen tragen und mit denen es vernetzt ist. Doch selbst eine kurze Skizze vermittelt etwas von der beeindruckenden Kräftebündelung, der das Projekt – unter grundlegender  Beteiligung der NRW-Stiftung – Lebensfähigkeit und internationale Anerkennung verdankt: Der ursprüngliche Trägerverein wurde 1998 durch die „Stiftung Künstlerdorf Schöppingen“ ersetzt, an der die Gemeinde, der Kreis Borken, der Landschaftsverband Westfalen-Lippe, der Förderverein, das Land NRW und die NRW-Stiftung beteiligt sind.

Im Kuratorium der Künstlerdorf-Stiftung führt Christina Rau den Vorsitz, im Förderverein des Projekts der Ehrenpräsident der NRW-Stiftung Harry K. Voigtsberger. Die Stipendien werden vom NRW-Kultusministerium, der Kunststiftung NRW und dem Landschaftsverband Rheinland gefördert. Geschäftsführerin des Künstlerdorfs ist seit 2021 Julia Haarmann, die zuvor Direktorin der Künstlerresidenz „CAT Cologne e.V.“ war. Das Künstlerdorf ist Mitglied von „res artis“, dem weltweiten Netzwerk der Kunstresidenzen, innerhalb von NRW kooperiert es unter anderem mit dem Kultursekretariat NRW und der Landesmusikakademie NRW (vgl. Schaufenster »NRW-Sounds für alle«).

Blickpunkt

Die NRW-Stiftung ist Eigentümerin verschiedener denkmalgeschützter Gebäude in Nordrhein-Westfalen, deren heutige Nutzung wir in einer neuen Serie vorstellen. Beim Künstlerdorf Schöppingen im Münsterland handelt es sich um zwei Gutshöfe aus dem frühen 19. Jahrhundert, die 1991 beziehungsweise 1998 von der NRW-Stiftung erworben worden sind – den Hof Schulze Johann (heute Hof der Literatur) und den Hof Schulze Dorfkönig (heute Hof der bildenden Kunst). www.stiftung-kuenstlerdorf.com