Das Nationale Naturerbe Kleve-Materborn

Serie: Flächen Nationales Naturerbe

Foto: Dietrich Cerff

Schmetterlinge statt Soldaten: Am Stadtrand von Kleve bietet der zum Nationalen Naturerbe umgewidmete ehemalige Bundeswehr-Standortübungsplatz Materborn heute Erholungssuchenden eine selten gewordene landschaftliche Vielfalt. Auch andernorts bereits verschwundene Tier- und Pflanzenarten besiedeln das Kleinod.

Wald, Wiese, Wasser: Ein Spaziergang durch die Naturerbefläche Kleve-Materborn bietet auf vergleichsweise kleinem Raum ein Mosaik aus vielen unterschiedlichen Landschaftsimpressionen. Mal kommt durch die zum nächsten Waldrand hin sanft abfallenden Wiesen ein Hauch von „Mittelgebirgs-Feeling“ auf und mal wähnt man sich angesichts trockensandiger Bereiche in der Heide. In den Reichswald – das größte zusammenhängende Waldgebiet am Niederrhein – ist es ohnehin nur ein Katzensprung.

Unmittelbar am Stadtrand von Kleve gelegen, finden sich im Naturerbegebiet auf wenig mehr als 100 Hektar außerdem kleine, dicht mit Röhricht bewachsene Tümpel und einige offenere Stillgewässer. Diese Kleinteiligkeit ist kein Zufall. Die heutige Naturerbefläche wurde über viele Jahrzehnte hinweg als Standortübungsplatz von Pionieren der Bundeswehr genutzt. Um den Soldaten für ihre verschiedenen Manöver und Übungen die richtige Kulisse zu bieten, wurde die Landschaft so vielseitig gestaltet, dass ein Mosaik aus Baumriegeln, Gebüschgruppen und Offenlandstreifen entstand – das ganze zum Zwecke des Sichtschutzes eingerahmt von Waldgürteln. Nachdem im Jahr 2008 die Bundeswehr den Betrieb der Kaserne in Emmerich einstellte, verlor auch der Übungsplatz seinen militärischen Zweck. Der auf dem Standortübungsplatz entstandene Biotopkomplex gehört seit 2015 zum Nationalen Naturerbe.

Pflanzenreichtum dank Dünge-Verzicht

So unterschiedlich wie die einzelnen „Lebensräume“ im Naturerbegebiet sind auch deren pflanzliche und tierische Bewohner. Anders als in der intensiv landwirtschaftlich genutzten Agrarlandschaft wurde auf dem Übungsplatz nie gedüngt. Die so erhalten gebliebenen nährstoffarmen Offenlandlebensräume sind Überlebensinseln für viele auf trocken-magere Wiesen spezialisierte Pflanzenarten wie das Ferkelkraut, den Knollen-Hahnenfuß, den Vogelfuß oder die Gras-Sternmiere. Auf dem deutlich feuchteren Untergrund zwischen den auf dem Areal angelegten Kleingewässern wachsen sogar Orchideen: Hier hat sich eine inzwischen stattliche Anzahl von Knabenkräutern unterschiedlicher Arten angesiedelt.

Eine echte Spezialität des Gebietes sind die durch den militärischen Betrieb entstandenen offenen oder nur spärlich bewachsenen Sandflächen. Hier wimmelt es vor Insektenleben: Wildbienen, Solitärwespen, Schmetterlinge verschiedenster Arten finden hier ebenso wie Sandlaufkäfer einen andernorts selten gewordenen Lebensraum. Der Mix aus diesen unterschiedlichen Landschaftselementen gepaart mit Waldrandstrukturen und Wald macht das Gebiet zu einem idealen Lebensraum für viele Vogelarten. Zu den charakteristischen gefiederten Bewohnern gehören Gartenrotschwanz und Grünspechte, die durch ihr lautes „Lachen“ auf sich aufmerksam machen. Der Wald soll sich nach dem Entwicklungsplan über die kommende Jahrzehnte weiter zu einer naturnahen Waldgesellschaft entwickeln. Dazu sollen auch gebietsfremde Nadelbaumarten zugunsten der heimischen Eichen und Buchen ersetzt werden.

Rücksichtnahme auf die Natur erwünscht

Ein vergleichsweise naturnahes Refugium in unmittelbarer Nähe zur Stadt zieht natürlich viele Menschen an, die hier Erholung suchen oder Sport treiben. Für die Natur lässt sich dieser nicht unerhebliche Druck dadurch in verträglichen Grenzen halten, dass Besucherinnen und Besucher – einschließlich ihrer vierbeinigen Begleiter – sich auf den vorgesehenen Wegen bewegen. Im Rahmen der Pflege- und Entwicklungsplanung sollen deshalb auch Maßnahmen zur Besucherlenkung und zur Information über die Bedeutung des Naturerbes erarbeitet werden, um die Interessen von Naturschutz und menschlicher Erholung besser aufeinander abzustimmen. Trotz der erheblichen Belastung durch Freizeitnutzung ist das Naturerbegebiet eine wichtige Oase für die hier vorkommenden Lebensgemeinschaften in einem ansonsten zumeist intensiv genutzten näheren Umfeld. Es erfüllt zugleich eine wichtige ökologische Funktion als Brücke zu anderen Biotopen und Schutzgebieten in den benachbarten Groß-Lebensräumen wie dem Europäischen Vogelschutzgebiet Unterer Niederrhein oder dem nahegelegenen Klever Reichswald, dem mit einer Ausdehnung von 5.100 Hektar größtem zusammenhängenden Waldgebiet des Niederrheins.

Dass das vergleichsweise kleine Naturerbegebiet aus ökologischer Sicht den Vergleich mit den deutlich bekannteren Naturrefugien in der Umgebung nicht scheuen muss, zeigt auch die Bewertung für das landesweite Biotopkataster. Dort wird ihm eine so große Artenvielfalt attestiert, dass eine Einstufung als Naturschutzgebiet gerechtfertigt wäre.

Text: Thomas Krumenacker

Blickpunkt

Seit der Wiedervereinigung wurden über 160.000 Hektar ehemaliger militärischer Liegenschaften an Stiftungen übertragen. Der Auftrag: Wo früher Panzer fuhren, Soldaten marschierten und Kanonen donnerten, soll der Naturschutz Vorrang haben. Acht der Naturerbe-gebiete wurden an die NRW-Stiftung übertragen. Porträts der Gebiete finden Sie in der Broschüre „Das Nationale Naturerbe und die NRW-Stiftung“. Sie kann über www.nrw-stiftung.de heruntergeladen oder kostenfrei bestellt werden.