Kinder, raus mit euch!

Naturerfahrungsräume in Herne, Bochum und Mettmann

Foto: Biologische Station Östliches Ruhrgebiet

Seit fast 10 Jahren gibt es mitten im Ballungsraum des Ruhrgebiets die ersten sogenannten Naturerfahrungsräume. Kinder im Alter zwischen 5 und 14 Jahren können dort die Stadtnatur erobern, Buden bauen, auf Bäume klettern und nach Herzenslust spielen. Solche selbstbestimmten Erfahrungen machen sie stark, verschaffen ihnen Bewegung und wirken der Naturentfremdung entgegen. Was als Pilotprojekt in Herne und Bochum erfolgreich war, wird jetzt auch in anderen Städten unseres Landes etabliert. Aktuell zieht der Kreis Mettmann nach.

Die größte Attraktivität für die Altersgruppe zwischen 5 und 14 haben nicht Spielplätze mit DIN-genormten Geräten, sondern die quasi vergessenen Brachflächen, in denen sich die Kinder ihren Freiraum selbst zurechtmachen können. Dort spielen sie länger und fantasievoller, und ihr Umgang mit der Natur ist keineswegs rücksichtslos – sie wollen erforschen, nicht kaputtmachen: „Naturzerstörung hat andere Ursachen als das Kinderspiel“, so der Hamburger Erziehungswissenschaftler Prof. Ulrich Gebhard.

Auch wenn Naturerfahrungsräume als Flächentyp bereits im Naturschutzgesetz verankert sind, geschützt wird dort nicht in erster Linie die bedrohte Natur, sondern der Freiraum zum Spielen. Deshalb braucht es Anreize wie Gebüsche und Staudenfluren zum Verstecken, Hügel zum Beklettern und Herunterrutschen, kleine Tümpel zum Matschen und Gehölzschnitt zum Bauen. Kinder können hier im abenteuerlichen Spiel Risikokompetenz erwerben und an den vorgefundenen Gegebenheiten wachsen. Eigentümer oder Anbieter der Flächen sind deshalb auch nicht verpflichtet, jede theoretisch denkbare Gefahr auszuschalten. Die Ängste mancher Eltern, ihre Kinder würden sich ohne Behütung, Anleitung und Kontrolle verletzen oder sie könnten gar Opfer einer Straftat werden, sind unbegründet. Erfahrungsgemäß bewegen sich Kinder in einem Gelände, das sie herausfordert, aufmerksamer und konzentrierter als wenn sie gelangweilt sind – dementsprechend selten sind Unfälle. Und solange Kinder dort in Gruppen spielen, droht ihnen keine Gefahr durch böswillige Personen.

Kurze Beine – kurze Wege

Auch wenn die Wertschätzung für die Umwelt ein langfristiges pädagogisches Motiv ist, tritt Professor Gebhard, der Verfechter des unreglementierten Draußenspielens, dafür ein, Naturerfahrungen nicht zu verordnen oder zu inszenieren. Sie stellen sich in einer geeigneten Umgebung von ganz allein ein. Jürgen Heuser, der Leiter der Biologischen Station Östliches Ruhrgebiet und Initiator der ersten Flächen in Herne und Bochum, bestätigt das: „Leute, denen die Natur etwas bedeutet und die sich für ihren Erhalt einsetzen, hatten alle in ihrer Kindheit ausgeprägte Naturkontakte“. Heusers Geduld, Beharrlichkeit und seine Offenheit gegenüber den Wünschen und Ideen aller an der Planung beteiligten Personen, Ämter und Anwohner – besonders aber der Kinder – machen Mut und haben Vorbildcharakter.

So wurde vor wenigen Jahren auch die Biologische Station Haus Bürgel in Monheim beauftragt, ein Konzept für Naturerfahrungsräume im Kreis Mettmann zu erstellen. Dafür identifizierten die Beteiligten zunächst jene Stadtteile, in denen eine dichte Bebauung und potenziell geeignete Freiflächen aneinandergrenzen. Eine der wichtigsten Eigenschaften der wilden Spiel-Oasen ist nämlich ihre Erreichbarkeit für die kleinen Strolche – im Idealfall sind die Fußwege zum „Dschungel“ kürzer als 300 Meter. Verkehrslärm ist dagegen ebenso ein K.O.-Kriterium wie industrielle Altlasten. Im Ergebnis wurden kreisweit 22 Potenzialflächen benannt. Als erste von ihnen geht jetzt ein ehemaliger Bolzplatz in der Stadt Langenfeld an den Start: Das Gelände bekam einen einfachen Holzzaun, und der vormals eintönige Rasen wird durch die Anlage eines Erdhügels und durch eine Bepflanzung mit Stauden und Gehölzen zu einer reizvollen Spielwildnis. Die ersten Kindergruppen warten schon ungeduldig darauf, das neue Abenteuerland zu erobern.

Text: Günter Matzke-Hajek

 

Blickpunkt

In Herne und Bochum wurden zwischen 2010 und 2021 mit Unterstützung der NRW-Stiftung sieben „Wildnis für Kinder“ Erfahrungsräume ausgewiesen: Es sind für andere Nutzungen ungeeignete städtische Brachen, auf denen Kinder aus den angrenzenden Wohnquartieren unreglementiert und selbstbestimmt spielen können. Aktuell fördert die NRW-Stiftung die Planung und Einrichtung solcher Flächen im Kreis Mettmann. 
www.wildnis-fuer-kinder.de
www.biostation-d-me.de/gebiete-projekte