Vor mehr als 25 Jahren gaben die britischen Streitkräfte das Munitionslager Brüggen-Bracht auf. Die NRW-Stiftung erwarb das weitläufige Gelände am Niederrhein, um es für den Naturschutz zu sichern. Die Entscheidung erwies sich als Glücksgriff für Natur und Mensch.
Vom größten Lager für Kriegsmunition in Europa zum Refugium für bedrohte Tier- und Pflanzen: Der Brachter Wald im Kreis Viersen könnte mit einem abgewandelten Motto der Friedensbewegung für sich werben: „Schwerter zu Vogelscharen“. Denn hinter einem im Kalten Krieg gebauten 18 Kilometer langen Zaun hat sich auf dem mehr als 1.200 Hektar großen Areal des einstigen britischen Munitionsdepots Brüggen-Bracht eines der artenreichsten Naturgebiete Nordrhein-Westfalens entwickelt. Dort, wo einst bis zu 45.000 Tonnen Kriegsmunition lagerten, führt heute die Natur das Kommando.
Trotz seines Namens besteht der Brachter Wald nur zu etwa zwei Dritteln aus Wald. Ein Drittel wird von offener Heide- und Graslandschaft bedeckt. Die Heidelandschaften an Niederrhein und Maas sind das Ergebnis einer jahrhundertelangen Nutzung durch Menschen und Weidetiere. Die einstigen Laubwälder wurden abgeholzt, um Brennholz und Baustoffe zu gewinnen. Eine Beweidung mit großen Schafherden schuf eine baumarme Offenlandschaft, in der sich über lange Zeiträume hinweg auf den trockenen Flugsandböden eine Heidelandschaft entwickelte. Ähnlich ausgeprägte Heiden gibt es in Nordrhein-Westfalen nur noch in der ostwestfälischen Senne und in der Wahner Heide bei Köln.
Es ist der auch durch die militärische Nutzung entstandene mosaikartige Wechsel aus Offenland und Wald, der das Gebiet für viele Tier- und Pflanzenarten besonders attraktiv macht. Unter den vielen vorkommenden Vogelarten erreicht der nachtaktive Ziegenmelker mit rund 45 Revieren eine für Nordrhein-Westfalen rekordverdächtige Siedlungsdichte. Sogar bundesweiter Spitzenreiter dürfte das Gebiet sein, was seine Anziehungskraft auf den Baumpieper angeht. Mit mehr als 200 Revieren reiht sich im Brachter Wald ein Paar der hübschen Sänger an das nächste. Kein Wunder, finden die Zugvögel hier doch ideale Lebensbedingungen: leicht zugängliche und insektenreiche offene Heideflächen zur Nahrungssuche und vereinzelt stehende hohe Bäume oder Waldränder, um sich von den höchsten Baumspitzen aus fallschirmartig langsam zum Singflug auf den Boden gleiten zu lassen. Auch der Reichtum an Pilzen sucht seinesgleichen. Mehr als 1.600 verschiedene Arten sind im Gebiet nachgewiesen worden, darunter einige, die es nur hier gibt und sogar solche, die der Wissenschaft bisher gänzlich unbekannt waren. „Neben der großen Artenvielfalt macht die andernorts kaum noch anzutreffende Vollständigkeit der Lebensraumtypen und ihr guter Zustand den großen ökologischen Wert des Gebietes aus“, sagt Peter Kolshorn, der das Gebiet für die Biologische Station Krickenbecker Seen betreut.
Vielfalt dank Nährstoffmangel
Das größte Geheimnis des Artenreichtums des Brachter Waldes liegt ausgerechnet in einem Mangel: dem an Nährstoffen. Nährstoffarme Böden gibt es heute immer weniger, weil die allermeisten Flächen im Offenland über Dünger für die Landwirtschaft zu viele Nährstoffe erhalten. Der Nährstoffüberschuss lässt zwar Arten wie Brombeere und Brennnessel sprießen, empfindsamere Spezialisten unter den Pflanzen bleiben dabei aber auf der Strecke. Weil auf dem über viele Jahrzehnte militärisch genutzten Gelände praktisch nie seit dem Aufkommen der intensiven Landwirtschaft im großen Maßstab Dünger ausgebracht wurde, konnte sich eine andernorts kaum mehr anzutreffende Vielfalt an Pflanzengesellschaften halten, die auf magere Standorte spezialisiert sind. Zu dieser Gruppe gehört auch der vielleicht größte botanische Schatz des Gebietes – die äußerst seltene Grau-Heide (Erica cinerea). In ganz Deutschland kommt sie ausschließlich im Offenland des Brachter Waldes vor.
Das Areal des ehemaligen Munitionslagers ist seit dem Jahr 2000 Naturschutzgebiet und zudem als FFH-Gebiet Teil des europäischen Naturschutznetzes Natura 2000. In den vergangenen Jahren konnten die ökologischen Bedingungen vor allem in den Heidegebieten weiter verbessert werden. So wurden mit Unterstützung aus dem europäischen Naturschutzprogramm Life Kiefernbestände entnommen und die ursprünglichen Sanddünen wiederhergestellt. Inzwischen beherbergt das Offenland des Brachter Waldes auch die landesweit ausgeprägtesten Bestände der heidetypischen Borstgrasrasen.
Auch der Gebietsschutz konnte in den vergangenen Jahren durch Zukäufe von Grundstücken weiter ausgebaut werden. Inzwischen besitzt die NRW-Stiftung rund 1.050 Hektar des insgesamt 1.226 Hektar großen ehemaligen Militärareals. Der Brachter Wald ist damit die größte Liegenschaft der NRW-Stiftung, die landesweit mehr als 100 Schutzgebiete in ihrem Besitz hat.
Vierbeiner als Naturschützer
Die Erhaltung des ökologischen Wertes des Gebietes ist eine Daueraufgabe. „Aus Heide wird Wald, wenn man nichts unternimmt“, sagt Biologe Kolshorn mit Blick auf den natürlichen Prozess der Sukzession, also der schrittweisen natürlichen Umwandlung von Offenland zu Wald. Um die offene Landschaft zu erhalten, unterstützt eine ganze Armada vierbeiniger Helfer die Naturschützer. Eine Schafherde mit 1.000 Moorschnucken, Ziegen, Galloway-Rinder und Konik-Pferde halten die Heide durch Beweidung offen. Im Wald übernimmt die stattliche Anzahl von rund 450 Damhirschen diese Aufgabe. Sie bleiben wegen des noch aus der militärischen Vergangenheit stammenden Zauns dauerhaft auf dem Gelände. Während der lange Zaun für manchen Besucher auf den ersten Blick eher etwas Unnatürliches ausstrahlt, sieht Naturschützer Kolshorn darin einen Glücksfall. „Das Vorhandensein der Umzäunung ermöglicht, das Gebiet mit einem vertretbaren Aufwand durch Beweidung zu erhalten“, sagt der Biologe.
Besucherinnen und Besucher können das weitläufige Areal bei einer Wanderung, mit dem Fahrrad und teilweise sogar per Inline-Skater auf den ausgewiesenen Wegen kennenlernen. Auf 30 Kilometern Wegenetz ist das Gebiet gut erschlossen. Die Hinweise auf zum Schutz der Natur gesperrte Wege sollten Besucher keinesfalls missachten. Auf mehreren erst vor kurzem erneuerten Aussichtsplattformen lassen sich Landschaft und Tiere des Gebietes erkunden, ohne dabei zu stören. Auch Ranger helfen, das rücksichtsvolle Miteinander von Mensch und Natur zu bewahren.
Text: Thomas Krumenacker
Blickpunkt
Seit über 25 Jahren engagiert sich die NRW-Stiftung für das Naturschutzgebiet Brachter Wald. Nach dem Abzug der Britischen Rheinarmee kaufte sie zwischen 1998 und 2000 zunächst 850 Hektar des mehr als 1.200 Hektar großen ehemaligen Munitions-depots. Durch Zukäufe befinden sich heute rund 1.050 Hektar im Besitz der Stiftung. Die Flächen wurden gemeinsam mit derBiologischen Station Krickenbecker Seen beständig für Ziele des Naturschutzes und der naturnahen Erholung weiterentwickelt. Der Brachter Wald ist heute nicht nur die größte Liegenschaft der NRW-Stiftung, sondern auch einer der ökologisch wertvollsten Offenland-Lebensräume in NRW.
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