Eines der bekanntesten Museen Nordrhein-Westfalens feiert seinen 25. Geburtstag. Im Oktober 1996 öffnete das neue Neanderthal Museum in Mettmann seine Pforten – nur wenige Schritte entfernt von dem Ort am Flüsschen Düssel, an dem 1856 weltberühmte Fossilienentdeckt wurden. Die NRW-Stiftung finanzierte das Museumsgebäude und ist dessen Eigentümerin. Sie fördert regelmäßig die Arbeit des Hauses, das häufig auf Forschungsentwicklungen reagieren muss und zudem viel Engagement in moderne Präsentationsformen steckt. Im Jubiläumsjahr konnte der Ausstellungsbereich „Mensch und Klima“ eingeweiht werden, auch das inklusive Projekt NMsee wurde abgeschlossen.



Das erste Neandertal-Museum wurde schon 1937 eröffnet, sein Standort war das erweiterte Pumpenhaus des ehemaligen Hüttenwerks Hochdahl. Kaum eingeweiht, musste die Ausstellung aber für fast ein Jahr wieder schließen, weil die NS-Ideologen eine linientreuere Darstellung der menschlichen Entwicklungsgeschichte verlangten. Auch in den letzten Kriegsjahren blieb das Museum unzugänglich, der Neubeginn fand 1947 statt. Die Ausstellung wurde während der folgenden vier Jahrzehnte mehrfach aktualisiert, es fehlten jedoch zuletzt die räumlichen Voraussetzungen, um Themen der menschlichen Evolution noch zeitgemäß zu präsentieren. Die NRW-Stiftung stellte daher 1987 zwölf Millionen D-Mark für einen Neubau an versetzter Stelle bereit, mit dem das Museum architektonisch in völlig andere Dimensionen vorstieß. Das renovierte Pumpenhaus hat seitdem speziellere Aufgaben. Es beherbergt heute die Steinzeitwerkstatt, in der vor allem Kinder praktisch erproben können, mit welchen Mitteln unsere vorzeitlichen Verwandten ihr Überleben sicherten.
Leben in der Eiszeit
Das Überleben war für Frauen, Männer und Kinder aus den Neandertalergruppen keine leichte Sache. Sie waren Eiszeitmenschen — ihre Welt sah anders aus als unsere heutige. Allerdings darf man sich die Eiszeit nicht statisch vorstellen, sie umfasste neben sehr kalten Phasen auch lange Wärmeperioden, die sogenannten Zwischeneiszeiten. Dieser Entwicklung lagen natürliche Ursachen zugrunde, doch obwohl von den gewaltigen Auswirkungen des Industriezeitalters auf den Zustand unseres Planeten noch keine Rede war, ist es für uns lehrreich, wie die Neandertaler auf wechselnde Umweltbedingungen reagierten – und nicht nur sie, sondern auch der steinzeitliche Homo sapiens und der Denisova-Mensch, der 2008 anhand von genetischen Spuren aus Sibirien identifiziert werden konnte.
Lösten Klimaveränderungen Wanderungsbewegungen und Vermischungen menschlicher Populationen aus? Gibt es in unseren Erbanlagen Spuren davon? Ergeben sich Erklärungen für das Aussterben der Neandertaler? Solchen und anderen Fragen geht das Museum im kürzlich eröffneten Ausstellungsbereich „Mensch und Klima“ nach. Wie klimatische Veränderungen untersucht werden, verdeutlicht dabei unter anderem das Modell eines Eisbohrkerns. Im Mittelpunkt stehen aber die Erkenntnisse der Paläogenetik, das heißt genetischer Untersuchungen zum Beispiel an vorzeitlichen Skelettfragmenten. Diese Studien zeigen, dass unser heutiges Erbgut ein DNA-Mix ist, in dem sich die Verwandtschaft der gesamten Menschheit spiegelt. Wie immer möchte das Museum zudem den Blick für aktuelle Zusammenhänge schärfen. Es geht im neuen Ausstellungsbereich daher nicht nur um die Vorzeit, sondern auch um die zunehmende Verantwortung des Menschen für die Lebensbedingungen auf der Erde.

Publikumsmagnet mit Ideen
Seine große Anschaulichkeit macht das Neanderthal Museum zu einem Publikumsmagneten. 150.000 Menschen zieht es unter normalen Bedingungen alljährlich an, etwa ein Viertel davon sind Kinder und Jugendliche. Über 3.000 Gruppen nutzen die Bildungs- und Erlebnisprogramme des Hauses. Um niemanden auszuschließen, wurden in den letzten Jahren große Anstrengungen für mehr Barrierefreiheit unternommen, etwa durch Vitrinen, die vom Rollstuhl aus gut einsehbar oder ganz geöffnet sind. Das Portal „Reisen für alle“, das vom Deutschen Seminar für Tourismus mit Unterstützung des Bundes betrieben wird, hat das Neanderthal Museum inzwischen als teilweise barrierefrei für Personen im Rollstuhl oder mit Gehbehinderung eingestuft. Noch nicht gewürdigt wurden dabei allerdings die Angebote für Blinde und Sehbehinderte, die das Haus jüngst entwickelt hat – und von denen alle anderen Menschen ebenfalls profitieren.
Wer würde bei Museumsbesuchen nicht öfter den Wunsch verspüren, Dinge zu berühren, um sie besser zu verstehen? Aber ganz klar – einzigartige Fossilien oder prähistorische Werkzeuge können nicht täglich von vielen Händen angefasst werden, ohne Schaden zu nehmen. Doch in einer Zeit, in der exakte Nachbildungen oft schon aus dem 3D-Drucker kommen, ist dieses Problem durchaus zu umgehen. Tastbare Objekte spielen daher im Neanderthal Museum mittlerweile eine große Rolle und eröffnen so vielfältige neue Erlebnismöglichkeiten für Groß und Klein.
In Zusammenarbeit mit dem Blinden- und Sehbehindertenverband Nordrhein hat das Museum darüber hinaus weitere gute Ideen in die Tat umgesetzt. Es bietet jetzt ein Bodenleitsystem, berührbare Schilder, Braille-Beschriftungen und nicht zuletzt ein „Mobile Game“ namens „Neanderthal: Memories“, das auf dem eigenen Smartphone gespielt werden kann – allerdings nur im Museum selbst. Bei Verwendung des Programms sind auch blinde Gäste in der Lage, sich in der Ausstellung unabhängig zurechtzufinden, simple Wischgesten sowie eine hausinterne Navigation machen es möglich. Die App arbeitet in diesem Fall in einer reinen Audioversion. Womit bewiesen ist: Engagierte Museen lassen sich im 21. Jahrhundert nicht nur besichtigen, sondern auch belauschen.
Text: Ralf J. Günther
Das Neanderthal Museum neu begreifen
Am 13. April 2021 war es soweit: Das inklusive Mobile Game „Neanderthal: Memories“ wurde offiziell in den App Stores veröffentlicht. Zusammen mit der künstlichen Intelligenz NMsee können unsere Gäste in die uralten Erinnerungen der eiszeitlichen Jägerin Nami eintauchen und dabei das Neanderthal Museum auf eine neue Weise erkunden – ganz unabhängig vom eigenen Sehvermögen. Ergänzt wird das Game von den siebzehn neuen tastbaren Angeboten in der Dauerausstellung: Sie machen die musealen Inhalte für blinde und sehbehinderte Menschen grundlegend „greifbar“, für Sehende besser „fassbar“ – und für uns alle „packender“. Die bisherigen Auswertungen unseres Projekts ergaben bereits positive Reaktionen: Die neuen Tastangebote im Neanderthal Museum seien „(be)greifbar“, „selbst erfahrbar“, „nachvollziehbar“, sie bieten „mehr Erlebnis“ und geben das Gefühl „einbezogen“ und „mittendrin“ zu sein. Ebenfalls wichtig für Menschen mit eingeschränktem oder fehlendem Sehvermögen: eine unabhängige, sichere Navigation. Diese ist nun im Neanderthal Museum dank einem Bodenleitsystem und der Innenraum-Navigation im Handyspiel möglich. Übrigens: Unser Projekt gewann den Innovationspreis Tourismus NRW 2019, den DigAMus Publikumspreis 2021 und wurde für den Inklusionspreis NRW 2020 nominiert.
Blickpunkt

Die NRW-Stiftung stellte der „Stiftung Neanderthal Museum“ für die teilweise Umgestaltung und Ergänzung der Dauerausstellung beim Themenbereich „Mensch und Klima“ Mittel zur Verfügung. Sie unterstützte zudem das Forschungsprojekt NMsee zugunsten einer inklusiven und barrierefreien Ausstellungskonzeption. Das Neanderthal Museum in Mettmann ist ein Haus der Nordrhein-Westfalen-Stiftung und zudem ein beliebtes Ziel der von ihr durch Übernahme der Fahrtkosten geförderten „Heimat-Touren“ – ein Angebot für nordrhein-westfälische Schulklassen. www.neanderthal.de