Naturnahe Auenlebensräume sind überall in Deutschland selten geworden. Entlang der Lippe entstehen sie Stück für Stück durch Renaturierung neu. Ein weiteres Naturschutzprojekt im Kreis Soest könnte dort schon bald Früchte tragen.

"Wasser marsch“ für die Natur: Ein letztes Mal schaufelt der Bagger eine Ladung Erdaushub beiseite – dann bahnt sich das Wasser seinen Weg. Seit Ende des vergangenen Jahres strömt dank der Verlegung eines Bachlaufs in ein neu ausgehobenes Bett bei Welver im Kreis Soest wieder Wasser in die Aue der Lippe. Der „Wasseranschluss“ der Lippewiesen markiert einen Meilenstein auf dem Weg zur Renaturierung eines weiteren Teils der Flussaue. Denn dem unter Naturfreunden als „Im Winkel“ bekannten wertvollen Feucht-Lebensraum drohte bislang immer wieder das Austrocknen und damit der Verlust eines großen Teils seiner Artenvielfalt.
Auch wenn natürliche Flussauen durch das Kommen und Gehen des Wassers und damit einhergehend durch sehr unterschiedliche Pegelstände geprägt sind: Ganz trocken fallen sie natürlicherweise nur sehr selten. Doch Deiche, Kanäle und die Entwässerung der flussbegleitenden Wiesen über Drainagen und Gräben haben den Wasserhaushalt vieler Auen durcheinandergebracht. So auch an der Lippe zwischen Lippetal-Lippborg und Welver-Hangfort, wo die Aue – wie an den meisten anderen Orten entlang unserer Flüsse – schon vor mehr als 100 Jahren trockengelegt wurde, um Flächen für die Landwirtschaft zu gewinnen. Was damals Sinn machte, ist für das heutige Naturschutzgebiet ein echtes Problem. Denn nach Wintern mit wenig Niederschlag oder in warmen Frühjahren herrscht in dem gut 12 Hektar großen Feuchtgebiet immer häufiger der „Wassernotstand“. Die früher regelmäßig bis in den Juni leicht überschwemmten Auenflächen trocknen aufgrund geringerer Frühjahrsniederschläge immer häufiger bereits im April ab: Amphibien, Vögel und andere an Wasser gebundene Lebewesen sitzen damit ausgerechnet zu einer für ihre Fortpflanzung entscheidenden Zeit immer öfter auf dem Trockenen.

„Die Lippeaue lebt nur mit Wasser“
Die Lösung des Problems über das Umleiten eines kleinen und bis heute namenlosen Fließgewässers ersannen die aktiven Naturschützerinnen und Naturschützer der „Stiftung Natur im Kreis Soest“. Nach mehrjähriger Planung und umfangreichen wasserbaulichen Maßnahmen – so mussten eine Unter- und eine Überführung für den neuen Bachlauf gestaltet werden – strömt seit Ende vergangenen Jahres nun Wasser direkt in die Aue, das zuvor in einen Altarm der Lippe abgeleitet wurde. Auch ein am Auenrand verlaufender Entwässerungsgraben, der bisher verrohrt in den Altarm mündete, wurde verlegt und offen an den Altarm angebunden. So können Fische wieder in die Aue gelangen. „Die Lippeaue lebt nur, wenn sie ausreichend Wasser hat – und wir holen das Wasser zurück“, beschreibt Joachim Drüke, Vorsitzender der Stiftung Natur, die Philosophie hinter dem Projekt.
„Die Renaturierung von Flüssen – sie aus ihren Fesseln zu befreien – ist uns ein wichtiges Anliegen“, betonte auch der Präsident der NRW-Stiftung, Eckhard Uhlenberg, bei einem Ortstermin. Die Stiftung hat den überwiegenden Teil der Kosten für das Wiedervernässungsprojekt übernommen.



Mit der Renaturierung des „Winkels“ wächst die renaturierte Fläche auf Naturschutzgrundstücken der NRW-Stiftung entlang der Lippe in der Region auf weit mehr als 100 Hektar. Das unmittelbar angrenzende Auengebiet Disselmersch wurde bereits in den vergangenen Jahren ökologisch deutlich aufgewertet. Dank der Renaturierung hat sich die Aue dort innerhalb weniger Jahre in einen Hotspot der Biodiversität zurückverwandelt. Gleiches erhoffen die Naturschützerinnen und Naturschützer nun auch für den „Winkel“. „Jetzt ist die Natur am Zug“, sagt Birgit Beckers von der Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz Soest.
Das zusätzliche Wasser soll nun dabei helfen, zahlreichen auentypischen Pflanzengesellschaften des Gebietes und einigen der seltensten Vögel Nordrhein-Westfalens Lebensraum zu geben. Zu ihnen gehören mit Bekassine, Knäkente und Tüpfelsumpfhuhn gleich drei in NRW vom Aussterben bedrohte Arten. Das Wasser dürfte auch dem Schwadenried im Projektgebiet neues Leben einhauchen. Mit einem künftig häufiger sattgrün strahlenden statt braun-verdorrten Ried und dauerhaften Wasserflächen wird das Feuchtgebiet auch für Besucherinnen und Besucher noch attraktiver.
Text: Thomas Krumenacker
Blickpunkt

Die NRW-Stiftung unterstützt die Rena-turierung der Lippeaue im Gebiet „Im Winkel“ zwischen Lippetal-Lippborg und Welver-Hangfort mit 46.000 Euro. Die Maßnahme ist nicht nur ein wichtiger Beitrag zur weiteren ökologischen Aufwertung der Flussaue und zum Überleben seltener Brutvogelarten dort. Auch die Attraktivität des Seggenriedes und der Vogelbeobachtungshütte für Besucherinnen und Besucher wird sich dadurch weiter erhöhen.