Schwarzes Gold – der Begriff ist in NRW fest mit dem historischen Boom der Kohlereviere verbunden. Doch für die Menschen stand am Anfang nicht das schwarze, sondern das weiße Gold. Die Kunst des Salzsiedens wurde schon vor Jahrtausenden praktiziert, nicht zuletzt in Westfalen, das im Mittelalter zu einer der wichtigsten Salinenregionen Deutschlands werden sollte. Einige westfälische Kurorte profitieren bis heute vom Gesundheitswert ihrer Salzquellen, gewonnen wird weißes Gold im modernen NRW aber fast nur noch im Bergbau, der in der „Niederrheinischen Salzpfanne“ eine riesige unterirdische Welt geschaffen hat. Wir folgen der rheinisch-westfälischen Spur des Mineralstoffs, von dem der Mensch in einem Durchschnittsleben bis zu zweihundert Kilogramm aufnimmt.
Die früheste konkrete Schilderung der Salzgewinnung in Westfalen verdanken wir einem der ersten Abgesandten der muslimischen Welt, die je nach Mitteleuropa kamen: Ibrahim Ibn Yaqub reiste um 970 durch das Reich Kaiser Ottos des Großen und sammelte dabei Informationen besonders über wirtschaftliche Tätigkeiten. Dabei fiel ihm in Soest eine Quelle auf, deren Wasser man in Gefäße füllte und in Steinöfen erhitzte, bis es dick wurde und weiß auskristallisierte. Ibrahim beschrieb damit das grundlegende Prinzip der Salzsiederei, doch anders als er meinte, war die von ihm beobachtete Quelle in der Gegend keine Rarität. Gerade am Hellweg, in der fruchtbaren Bördelandschaft nördlich des Sauerlands, in der Soest liegt, finden sich gleich mehrere Punkte, wo salzhaltiges Wasser durch natürlichen Druck aus unterirdischen Reservoirs emporsteigt.
Auf der Salzroute
Der Hellwegraum gilt als ältester Wirtschaftsraum Westfalens, benannt nach einer wichtigen mittelalterlichen Heer- und Handelsstraße vom Rhein in Richtung Weser. Der Name dieser Straße wird manchmal als Abwandlung des Wortes „Hallweg“ interpretiert, was so viel wie Salzweg bedeuten soll. Sprachwissenschaftlich führt das in die Irre, doch historisch gesehen trifft es genau ins Schwarze, pardon: ins Weiße, dass am Hellweg heute die „Westfälische Salzroute“ verläuft, die zu zahlreichen salzbezogenen Sehenswürdigkeiten führt, etwa der Windpumpe von Unna-Königsborn oder dem Sälzeraltar in Werl. Unterwegs stößt man in Bad Sassendorf zudem auf das Erlebnismuseum der „Westfälischen Salzwelten“.
Das von der NRW-Stiftung unterstützte Museum ist im Wirtschaftstrakt einer denkmalgeschützten Hofanlage untergebracht und setzt ganz auf Anschaulichkeit. Bewegliche Modelle machen den Aufbau einer historischen Salinenanlage nachvollziehbar, wobei zugleich an die mühevolle Tätigkeit der Salzknechte erinnert wird, die tagtäglich inmitten heißer Dämpfe an den Siedepfannen hantierten. Ihre Arbeitgeber waren die sogenannten Salzbeerbten oder Erbsälzer, die allein das Recht hatten, am jeweiligen Ort Siedehütten zu betreiben – ein sozialer Sonderstatus, der darin gipfelte, dass die Erbsälzerfamilien der Stadt Werl 1708 in den Adelsstand erhoben wurden. Die Ausstellung präsentiert Salz aber auch als Thema der Gegenwart und als einen Stoff, für den es heutzutage von der Arzneiproduktion bis zum Stromspeicher hochspezialisierte Anwendungen gibt. Installationen und Bildschirme ermöglichen überall eigene Versuche, lassen Kristalle wachsen, leiten elektrischen Strom durch Salzlösungen oder verbreiten wohltuenden Solenebel.
Konzentriert gegen Holznot
Salinen benötigten sehr viel Brennholz, was zugleich die Furcht vor der „Holznot“ steigerte, die im vorindustriellen Zeitalter stark ausgeprägt war. Wären im 16. Jahrhundert nicht die sogenannten Leck- oder Gradierwerke aufgekommen, hätte aufgrund von Brennholzknappheit und den damit verbundenen Preissteigerungen wohl kaum noch jemand das zuvor schon teure weiße Gold bezahlen können. Das Prinzip der Innovation: Ließ man die Sole vor dem Erhitzen an aufgeschichteten Stroh- oder besser noch Reisigbündeln herabrieseln, so erhöhte sich durch die Verdunstung die Salzkonzentration, was beim Sieden viel Brennmaterial sparte. Trotz der großen Mengen an Bauholz, die die Gradierwerke erforderten, rentierten sie sich so sehr, dass sie im 18. Jahrhundert zu wahren Giganten heranwuchsen. In Salzkotten entstand 1777 eine der damals größten Anlagen Europas, über elf Meter hoch, rund 500 Meter lang. Die Saline Königsborn in Unna, die zeitweise dem Staat Preußen gehörte und bereits 1799 durch die erste Dampfmaschine auf heutigem NRW-Gebiet ihren Pioniergeist bei der Soleförderung bewiesen hatte, verfügte 1840 sogar über ein tausend Meter langes Gradierwerk.
Aufgrund der Einwirkung von Wind, Wetter und Salz mussten Gradieranlagen immer wieder überholt oder ganz neu errichtet werden. Das schien sich kaum noch zu lohnen, als die Salzsiederei im späten 19. Jahrhundert durch Änderungen staatlicher Vorschriften gegenüber dem Salzbergbau in die Defensive geriet. Zum Glück wusste man damals aber bereits um die positiven Wirkungen des Salzklimas auf die menschliche Gesundheit, so dass sich für viele Solequellen bald eine neue Zukunft als Bade- und Gesundbrunnen abzeichnete – mit Gradierwerken als Stätten des heilsamen Aufatmens. Die Zeit der Ungetüme aus Holz und Schwarzdornreisig ist daher selbst im 21. Jahrhundert noch keineswegs vorbei, ganz im Gegenteil, manche von ihnen sind durch Aussichtsplattformen und innere Begehbarkeit für das Publikum attraktiver denn je, so wie die Erlebnisanlage in Bad Sassendorf, deren obere Ebene dank Förderung durch die NRW-Stiftung barrierefrei per Lift erreichbar ist.
Bad Hamm
Haben Sie je von Bad Hamm gehört? So durfte sich die Ruhrgebietsstadt, die die meisten einfach als Hamm kennen, von 1882 bis 1955 offiziell nennen. Denn auch hier gab es einmal einen solebasierten Kurbetrieb, der allerdings – ähnlich wie in Mülheim an der Ruhr, wo von 1909 bis 1992 das Solebad Raffelberg existierte – an keine Sälzertradition anknüpfte. Die salzhaltigen Quellen in Hamm waren vielmehr rein zufällig bei der Suche nach Steinkohle entdeckt worden. Genauso hatte es sich in dem heute zu Lippstadt gehörenden Ort Bad Waldliesborn abgespielt, dessen 1904 gestarteter Kurbetrieb inzwischen schon 120 Jahre lang besteht. Aber auch in Hamm wollte man die alte Badeherrlichkeit nicht ganz in Vergessenheit geraten lassen. Seit 2008 steht daher auf dem früheren Kurparkgelände wieder ein Gradierwerk. Es muss allerdings aus fremder Quelle betankt werden – so wie es bei einigen neuen Gradierwerken an Orten ganz ohne eigene Salztradition ebenfalls festzustellen ist. In Remscheid beispielsweise nutzt eine solche Anlage salzhaltiges Nass aus dem Leinetal zwischen Harz und Solling.
Begeben wir uns abschließend noch zur „Niederrheinischen Salzpfanne“, die sich zwischen Rheinberg, Wesel und Xanten bis zu einem Kilometer tief unter der Erde verbirgt. Seit 1925 baut das Bergwerk Borth hier 250 Millionen Jahre altes Steinsalz aus einer bis zu zweihundert Metern mächtigen Lagerstätte ab. Dadurch sind darin gewaltige Kammern und ein weit verzweigtes unterirdisches Straßensystem entstanden. Die Förderleistung beträgt achttausend Tonnen – pro Tag! Intensiv wird in der Region debattiert, inwieweit Bodensenkungen und damit verbundene Gebäudeschäden auf die Salzgewinnung zurückzuführen sind, eine Frage, die sich umso mehr stellt, als das Bergwerk künftig stark erweitert werden soll, um auch künftig noch seine Produktpalette von über zweihundert verschiedenen Salzartikeln und Spezialsalzen anbieten zu können.
Reinheit durch Sieden
Wenn es um Pharmasalze geht, setzt das Bergwerk Borth paradoxerweise auf ein Siedeverfahren, bei dem Steinsalzstaub zuerst aufgelöst und danach durch erneute Kristallisation in ein hochreines Produkt verwandelt wird – ein Rückgriff auf die Salinentechnik, mit dem sich der Gedankenkreis dieses Überblicks elegant schließen würde, hätten wir nicht so viele NRW-Salzorte noch gar nicht erwähnt, darunter Bad Oeynhausen und Bad Salzuflen mit dem Flüsschen Salze. Es bleibt nur der Hinweis, dass nicht alle Salinen Westfalens am Hellweg liegen und dass manche Spuren des weißen Goldes den Menschen, die darauf wandeln, kaum bewusst sind – etwa wenn sie auf der Salzstraße in Münster dem Shopping frönen, die schon 1346 als „vicus salis“ erwähnt wird. Sollten diese Zeilen durch die bewährte Würze des Natriumchlorids die Fadheit verloren und den Appetit auf eigene Erkundungen angeregt haben, so wäre ihr Zweck erfüllt.
Text: Ralf J. Günther
Die Gottesgabe
Zu den bedeutendsten Technikdenkmälern NRWs aus vorindustrieller Zeit gehört der Salinenpark im münsterländischen Rheine, wo sich die Salzgewinnung bis ins Jahr 1022 zurückverfolgen lässt. Die Saline stand zeitweilig unter der Kontrolle des 1437 gegründeten Klosters Bentlage, erreichte ihre Blütezeit aber erst ab 1611 unter den adligen Herren von Velen, die das Salz als Gottesgabe betrachteten und den Betrieb daher auch so nannten. Nach der Übernahme durch die Münsterische Salinen-Societät wurde die Anlage Mitte des 18. Jahrhunderts durch den bedeutenden Architekten Johann Conrad Schlaun ausgebaut. Die Nutzung als Solebad begann 1889 und endete 1974. Obwohl im Gradierwerk seit 1940 eine große, durch Sturmschäden verursachte Lücke klafft, präsentiert es sich immer noch in eindrucksvollen Dimensionen. Die NRW-Stiftung unterstützte den „Verein zur Förderung der Saline Gottesgabe“ bereits mehrfach. Zum Pionierprojekt wurde die Aufstellung eines Glaspavillons mit „Schaupfanne“ und automatisiertem Siedevorgang im frei zugänglichen Gelände des Parks. Anders als historische Bleipfannen fiel die aus Edelstahl gefertigte Schaupfanne binnen weniger Jahre dem durch das Salz bedingten Metallfraß zum Opfer. Hinzu kamen Kondensationsprobleme, so dass die Installation unter Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnisse neu geplant werden musste. Zuletzt unterstützte die NRW-Stiftung eine Medienstation im Siedehaus, die unter anderem eine Zeitrafferdarstellung des in der Realität sehr langwierigen Siedeprozesses bietet.
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Blickpunkt
Die NRW-Stiftung hat zahlreiche Maßnahmen im Zusammenhang mit den NRW-Salzwelten gefördert, darunter die Erhaltung beziehungsweise den Neubau der Gradierwerke in Werl, Bad Sassendorf und Salzkotten, die Schausiedepfanne und eine Medienstation im Salinenpark Rheine sowie das Museum „Westfälische Salzwelten“ in Bad Sassendorf, das sich als Startpunkt für eigene Erkundungen eignet.