Sie gehört untrennbar zu NRW: Die Ruhr, Namenspatin einer der größten Städteballungen Europas, des Ruhrgebiets, das englisch Ruhr District und französisch Région de la Ruhr heißt. Viele Förderprojekte der NRW-Stiftung begleiten den Fluss, der auf 219 Kilometern Länge aber nicht nur an Großstadtkulissen vorbeizieht. Bei einer Ruhrtour – am besten auf dem RuhrtalRadweg – erlebt man weit häufiger grüne Landstriche, außerdem tief fallendes Wasser und einen doppelten Grafen.
Natur und Kultur reimen sich in NRW auch auf die Eifel-Rur ohne h. Doch während die aus Belgien kommt und in die Niederlande entschwindet, ist die Ruhr mit h ganz und gar nordrhein-westfälisch. Sie entspringt auf 674 Metern Höhe im Rothaargebirge, konkret am Ruhrkopf bei Winterberg, und ist anfangs so schmal, dass ein beschildertes Steinrondell erst nach einer kleinen Strecke bezeugt: Hier wurde ein Fluss geboren. Der verläuft zunächst knapp zwanzig Kilometer nach Norden, bis er sich auf Olsberger Stadtgebiet – bekannt durch das Nationale Naturmonument Bruchhauser Steine und den Langenberg, NRWs höchste Erhebung – nach Westen wendet, in Richtung Vater Rhein.

Ein Fall für NRW
Kraft schöpfen – das funktioniert an der Ruhr auf zweierlei Weise. Das Olsberger Wasserkraftwerk Steinhelle und viele andere Betriebe am Fluss nutzen Stauanlagen zur Stromerzeugung. Wir dagegen stärken unsere Seele, indem wir den 230 Kilometer langen RuhrtalRadweg benutzen, um dem – besonders im Mittelgebirge – oft sehr naturnahen Wasserlauf zu folgen. Fünfzehn Abschnitte mit insgesamt fünfhundert Hektar sind sogar als Flora- und Fauna-Habitat ausgewiesen, teils in direkter Verbindung zu weiteren Naturschutzgebieten wie dem „Bestwiger Ruhrtal“, wo die NRW-Stiftung Flächen zur Förderung artenreicher Glatthaferwiesen erworben hat.
Apropos: Wussten Sie, dass zur Gemeinde Bestwig der Ortsteil „Wasserfall“ gehört? Der Name des winzigen Weilers ist kein Zufall, denn in seiner Nähe stürzt sich ein Bach zwanzig Meter in die Tiefe, um rasch und ruhelos zur Elpe zu streben, einem Nebenfluss der Ruhr. Wir sind an der Plästerlegge, NRWs einzigem natürlichen Wasserfall. Früher soll ausgerechnet in dieses malerische Nass geschmolzenes Blei geschüttet worden sein, um es zu Kügelchen für Schrotpatronen erstarren zu lassen. Fast unglaublich, doch tatsächlich gehört zur Gemeinde Bestwig auch das im 19. Jahrhundert betriebene Blei- und Zink-Revier Ramsbeck. Heute kann man dort ein Besucherbergwerk sowie zwei mächtige Rauchgaskamine besichtigen, von denen einer, unterstützt durch die NRW-Stiftung, zugleich als Aussichtsturm dient.

Graf mit zwei Gräbern
Es gibt viel zu bestaunen in einer Gegend, in der die NRW-Stiftung sogar die Existenz einer „Kleesamenenthülsungsmaschine“ bezeugen kann – die 1905 patentierte Apparatur zur Saatgutgewinnung steht in der Sägemühle von Meschede-Remblinghausen. Meschede selbst besitzt mit der Walburga-Kirche ein Baudenkmal, das in Teilen noch aus dem Frühmittelalter stammt. Doch über das Mittelalter an der Ruhr soll uns dieses Mal das benachbarte Arnsberg Auskunft geben. Mit dem Tipp vorab: Den besten Blick auf die Stadt bietet das 1897 errichtete, mit Stiftungshilfe sanierte Denkmal für Ernst Ehmsen, den Mitbegründer des Sauerländischen Gebirgsvereins.
Abb.: Die Grabfigur von Graf Gottfried IV. von Arnsberg (ca.1295–1371). Quelle: Stadtarchiv Arnsberg

Auf hohem Fels in einer Flussschleife liegt der Hauptort der ehemaligen Grafschaft Arnsberg vor uns. Letztere war lange selbständig – bis der kinderlose Graf Gottfried IV. sie 1368 den Erzbischöfen von Köln verkaufte, fast eher schenkte. Das kölnische Sauerland, auch „Herzogtum Westfalen“ genannt, erbte so Dörfer, Burgen, Städte, Höfe, Mühlen, zudem große Waldungen, an denen sich die Jagdlust der neuen Herren entzündete.
Noch im 17. Jahrhundert ließen sie bei Arnsberg den „kurfürstlichen Tiergarten“ einrichten – ein Wildrevier von rund 250 Hektar. Man kann es per App und Beschilderung auf einer von der NRW- Stiftung geförderten Wanderroute erkunden, inklusive Abstecher ins „Seufzertal“, wo früher Seuchenkranke isoliert wurden.
Graf Gottfried, der Landesherr im Ruhestand, wurde im Kölner Dom bestattet – der einzige weltliche Herr unter lauter Bischöfen und Heiligen. Doch Köln ist weit, wir möchten die gräfliche Grabstätte lieber gleich hier an der Ruhr betrachten. Unmöglich? Nun, zur Spannungssteigerung rasch noch ein Zwischenstopp an der Rodentelgenkapelle in Bruchhausen, die mithilfe der NRW-Stiftung zum Kulturzentrum geworden ist. Dann rollen wir nach Neheim, dem Gottfried einst Stadtrechte verlieh, und betreten den „Sauerländer Dom“. Tatsächlich – der Graf liegt in voller Rüstung vor uns. Und ebenso wie die originale Grabfigur am Rhein wärmt sich auch die Kopie an der Ruhr die Füße an zwei steinernen Hunden.


Talsperren
In Neheim fließen Ruhr und Möhne zusammen, was dem Ort 1943 zum Verhängnis wurde. Damals zerstörten britische Bomben die Möhnetalsperre, die abfließenden Wassermassen rissen Gebäude in beiden Flusstälern mit sich und forderten Menschenleben bis hinab nach Essen-Steele. Bilder der verheerenden Flut vom Juli 2021 drängen sich auf, doch auch die Möhnekatastrophe selbst bleibt in Erinnerung. Noch 2012 fand man in Neheim den seinerzeit vom jüdischen Friedhof fortgeschwemmten Grabstein für Noah Wolff, den Initiator der Neheimer Synagoge von 1876. Letztere, unter Beteiligung der NRW-Stiftung saniert, ist mit dem „Noah-Wolff-Saal“ heute ein wichtiger gesellschaftlicher Treffpunkt.
Noch fließt die Ruhr durch Westfalen, wechselt jetzt aber ins märkische Sauerland, also in die alte Grafschaft Mark, die größer war als der moderne Märkische Kreis. In Fröndenberg fesselt uns das Kettenschmiedemuseum, in Schwerte steuern wir die „Rohrmeisterei“ an, einen Ziegelbau mit Tonnendach, den eine Bürgerstiftung für Kulturzwecke nutzt, zum Beispiel beim Krimifestival „Mord am Hellweg“. Ursprünglich war das Gebäude eine Pumpstation, die von 1890 bis 1924 Wasser nach Dortmund beförderte. Denn die Ruhr ist ein Trinkwasserfluss. Das Ruhrreinhaltungsgesetz von 1913 verhinderte ihre Degradierung zum Abwasserkanal ähnlich der Emscher. Überdies bewirkte der 1899 gegründete „Ruhrtalsperrenverein“ (jetzt Ruhrverband), dass das kostbarste aller Lebensmittel heute aus sechs Stauseen am Unterlauf des Flusses geschöpft und von den Wasserwerken für Millionen von Menschen aufbereitet werden kann.




Seefahrten
„Lennestrand! Wo die Misthaufen qualmen, da gibt’s keine Palmen!“ Ganz klar, die Gruppe Zoff aus Iserlohn besang 1983 nicht den italienischen Fluss Lenne am Golf von Tarent, mit ihrem Sauerlandlied feierte sie vielmehr die Lenne, die in den Hengsteysee mündet, den ältesten der großen Ruhrstauseen. Seit 1929 dehnt er sich unterhalb des Kaiser-Wilhelm-Denkmals auf dem 240 Meter hohen Syberg, auf dem auch die sächsische „Sigiburg“ lag, die Karl der Große im Jahr 775 eroberte. Ein Wahrzeichen des Sees ist der Schriftzug „Koepchenwerk“, der ein 1930 eröffnetes, vom Ingenieur Arthur Koepchen geplantes Pumpspeicherkraftwerk markiert. Obwohl längst durch eine neue Anlage ersetzt, entging es dem Abriss und hat mithilfe der NRW-Stiftung sogar seine historische Beleuchtung zurückerhalten.
Nach so viel Historie atmen wir im Naturschutzgebiet „Ruhraue Syburg“ durch, das etwas abseits des Flusses von Grünland, Hecken und Kopfbäumen geprägt ist. Auch ein befreiendes „Ahoi“ täte jetzt gut, sehen wir auf den Stauseen doch erstmals größere Ruhrschiffe. Sie dienen dem Freizeitverkehr, so die „Friedrich Harkort“ auf dem Harkortsee, benannt nach dem „Vater des Ruhrgebiets“. Dessen 1818 auf der Burg Wetter (oberhalb des heutigen Sees) gegründete Maschinenfabrik wurde durch ein Bild des Malers Alfred Rethel zu einer Ikone der Industriegeschichte. Die NRW-Stiftung hilft im Übrigen beim Erhalt des einstigen Familiensitzes Haus Harkorten in Hagen-Haspe.



Nullpunkt
Burg Hardenstein in Witten, das alte Hattingen, Bochum mit der Heimkehrer-Dankeskirche und der Stiepeler Kapelle: All das und vieles mehr passieren wir nun rasch, um zur rheinischen Ruhr zu gelangen. Natürlich besuchen wir Kloster Werden, dessen Geschichte bis ins 8. Jahrhundert zurückreicht. Aber auch ein kleines barock-bürgerliches Gartenhaus am Werdener Pastoratsberg verdient als architektonische Rarität Aufmerksamkeit. Es wurde 1790 vom letzten Kanzleidirektor der Abtei, Johann Everhard Dingerkus, errichtet und steht dem Publikum seit 2017 offen. Dahinter steckt das Engagement eines Freundeskreises, dessen Vorsitzender Peter Bankmann zudem Verfasser mehrerer Ruhrbücher ist. Eins davon behandelt die Ruhrbrücken, darunter den großen Eisenbahnviadukt bei Witten.
Ab Essen-Werden (beziehungsweise Rellinghausen) ist die Ruhr eine Landeswasserstraße für Schiffe bis 38 Meter Länge. Große Rheinschiffe können aber nur die zwölf Kilometer lange Ausbaustrecke zwischen Mülheim und Duisburg-Ruhrort nutzen, wo das „Museum der Deutschen Binnenschifffahrt“ Partner der NRW-Stiftung ist. Bei Ruhrort erreicht unsere Tour jetzt auch Punkt Null, Ruhrkilometer Null, um genau zu sein, denn die „Kilometrierung“ der meisten Flüsse – der Rhein ist eine Ausnahme – gleicht einem Countdown Richtung Mündung. Anders gesagt: Kilometer 219 liegt im Quellgebiet der Ruhr. Kein Problem. Unsere Tour funktioniert auch flussaufwärts.
Text: Ralf J. Günther
Ruhrschienen
Eisenbahnnostalgie an der Ruhr bieten mehrere Partnerprojekte der NRW-Stiftung. So betreibt die „Arbeitsgemeinschaft Muttentalbahn“ in Witten ein sehenswertes Gruben- und Feldbahnmuseum, übrigens genau in dem Tal, das als Wiege des Ruhrbergbaus gilt. Schon 1874 kam der große Zugverkehr an die Ruhr, heute steht der Name RuhrtalBahn vor allem für historische Dampfzüge, deren Heimatbahnhof das Eisenbahnmuseum Bochum-Dahlhausen ist. Die Hespertalbahn naht sich von Essen-Kupferdreh aus und schnauft am Baldeneysee entlang, über dem die Villa Hügel der Unternehmerfamilie Krupp thront. Die Strecke wurde 1973 stillgelegt, doch schon 1976 nahm der „Verein Hespertalbahn“ seine Museumsfahrten auf.