Treffpunkte der offenen Gesellschaft

Ort der Begegnung in NRW

Treffpunkt

Foto: Stefan Ziese

Die NRW-Stiftung wurde 1986 gegründet, um ehrenamtliche Initiativen für Natur, Heimat und Kultur im bevölkerungsreichsten Bundesland zu unterstützen. Mehr als 3.700 geförderte Projekte haben seitdem unterstrichen, dass sich bürgerschaftliches Engagement in einer demokratisch organisierten Gesellschaft lohnt. Nicht wenige dieser Projekte kümmern sich gezielt um Orte der Begegnung und des Austauschs,
wie sie für eine offene Gesellschaft unverzichtbar sind.

Wenn sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, ließe sich das zwar scherzhaft als Beispiel für vorurteilsfreies Miteinander trotz unterschiedlicher Ohrenlängen interpretieren, aber natürlich zielt die Redewendung eigentlich auf Schauplätze des menschlichen Lebens, an denen – geradeheraus gesagt – „nichts los ist“. Oder, um die Sprache der Soziologie zu verwenden: Wo Menschen über die grundlegenden Sphären von Wohnung und Arbeit hinaus keine „dritten Orte“ für Kultur und Begegnung finden. So wäre es vielleicht auch im Dorf Talle, einem Ortsteil der lippischen Gemeinde Kalletal, in dem es weder Einzelhandel noch Gastronomie gibt. Doch in Wirklichkeit finden Fuchs und Hase in dem 1.200-Seelen-Ort schon lange keine Gelegenheit mehr, sich die Schlafmützen überzustülpen. Dafür sorgt die 1989 als Dachverband von Vereinen und Kirchen­gemeinde gegründete „Dorfgemeinschaft Talle“.

Teilhabe ohne Hürden

Der Gemeinschaft ist es unter anderem gelungen, ein denkmal­geschütztes, aber dringend sanierungsbedürftiges Gebäude namens Tempelhaus mit viel ehrenamtlichem Einsatz in einen barrierefreien Anlaufpunkt für Nachbarschaftshilfe, Vereinsleben und Integration zu verwandeln, Sprechstunden im Dorfbüro inklusive. Die NRW-Stiftung unterstützte das Projekt, durch dasein dörfliches Forum für demokratisches Miteinander geschaffen wurde. Zeit für Demokratie – so lautete folgerichtig auch das Thema eines Diskussionsabends, zu dem die Politikwissenschaft­lerin und zweimalige Kandidatin für das Amt der Bundespräsi­dentin, Prof. Dr. Gesine Schwan, jüngst ins Tempelhaus kam. Die Wohnzimmeratmosphäre des Veranstaltungsraums empfand die prominente Rednerin dabei nach eigenen Worten als etwas Besonderes.

Wenn die Begegnungsräume einer offenen Gesellschaft Teil­nahme und Teilhabe ermöglichen sollen, dann verträgt sich das nicht mit einem rein passiven Publikum. Notwendig sind vielmehr niederschwellige Angebote zum Mittun, sei es bei der Jugend­theaterarbeit, in der Geschichtswerkstatt oder bei Diskussions­veranstaltungen. Viele Förderprojekte der NRW-Stiftung erfüllen diese Vorgabe, zum Beispiel die historische Zehntscheune in Fürstenberg, einem Stadtteil von Bad Wünnenberg im Kreis Paderborn, die als multifunktionaler Kulturort von zahlreichen Vereinen und Gemein­schaften getragen wird. Nennen ließe sich zudem das Kulturgut Schrabben Hof. Im winzigen sauerländischen Dorf Silberg (Kirchhundem) umfasst es ein ganzes Gebäudeensemble aus Heimatmuseum, Backhaus, Café, Biergarten, Feiertenne sowie Trödel- und Theaterscheune. Sogar das benachbarte Gotteshaus wird als Kulturkirche für Ausstellungen genutzt, so bei „Wochen gegen Rassismus“ im Frühjahr 2024.


Geschichte und Utopie

Demokratie erfordert den Respekt gegenüber abweichenden Lebensweisen und Lebenssituationen, aber auch das Wissen um die Vergangenheit. Viele Begegnungsorte profitieren davon, dass ihnen Bauwerke zur Verfügung stehen, die historische Perspektiven eröffnen. Ein besonderes Zeichen konnte dabei der Neheimer Jägerverein setzen, der 2001 – unter ausdrücklicher Billigung des westfälischen Landesrabbiners – die alte Synagoge in Arnsberg-Neheim als Veranstaltungsstätte und Vereinsheim erworben hat. Der „Noah-Wolff-Saal“ hat sich rasch zum zentralen Kommu­nikationszentrum in Neheim entwickelt. Die Geschichte mit der Utopie verbindet ein längst bundesweit bekanntes Förderprojekt der NRW-Stiftung – die Utopiastadt im alten Bahnhof von Wuppertal-Mirke. Als Experimentierfeld für neue Formen der Nachbarschaft versucht der in die Zukunft gerichtete Gedankenraum und permanente Gesellschaftskongress, wie sich die Utopiastadt selbst bezeichnet, gesellschaftspolitische Perspektiven nicht nur zu diskutieren, sondern auch praktisch zu erproben – in Werkstätten, im urbanen Gartenbau oder auf Aktionsflächen. Das außergewöhnliche Projekt wird vom Zentrum für Transformationsforschung und Nachhaltigkeit (TransZent) der Bergischen Universität Wuppertal wissenschaftlich begleitet.

Text: Ralf J. Günther

„Die Kultur schafft ein Wir-Gefühl.“

Frau Wesely, der Schrabben-Hof bietet Kultur in großer Vielfalt. Wer steckt dahinter? Das Kulturgut wird unter Regie des Vereins MuT-Sauerland e. V. geführt – MuT wie „Musik & Theater“.
Unser Leitsatz: „Wir machen MuT“. Über neunzig Ehrenamtliche unterstützen das kulturelle und gastronomische Projekt.

Und was lässt sich erleben?
Auf den diversen Bühnen von Hof und Kulturkirche gibt es die unterschiedlichsten Musik- und Theaterformate, auch Workshops – für die unterschiedlichsten Zielgruppen. Bei uns trifft sich Alt und Jung. Zu den vielen Öffnungstagen mit Kaffee, Kuchen und Kultur besuchen uns über zehntausend Menschen im Jahr.

Wer gehört mit zu den erwähnten Zielgruppen?
Der Verein legt viel Wert auf die Einbindung von Menschen mit Handicap, Menschen mit Migrationshintergrund, von Kindern und Jugendlichen. Seit etlichen Jahren wird der Jugendtreff mit rund zwanzig Kindern und Jugendlichen professionell angeleitet, die Kids sind bei Kulturangeboten aktiv in die Umsetzung einbezogen. Das sorgt für Identifikation, Wir-Gefühl und hilft auch dem Heimatgedanken.