Zwei bedeutende Namen sind mit Haus Rüschhaus in Münster-Nienberge verbunden: Erbaut wurde der kleine Adelssitz Mitte des 18. Jahrhunderts von dem Barockarchitekten Johann Conrad Schlaun, rund hundert Jahre später lebte und arbeitete hier die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff. In unserer Reihe über Bauwerke im Eigentum der NRW-Stiftung stellen wir diesmal ein Gebäude- und Gartenensemble vor, das zu den schönsten Adressen der westfälischen Kulturgeschichte gehört.
Johann Conrad Schlaun (1695–1773) war der wichtigste Barockarchitekt Westfalens. Viele seiner Bauwerke sind heute noch zu bewundern, darunter das inzwischen als Universitätsgebäude genutzte Schloss in Münster, das allerdings erst nach dem Tod des „kurkölnischen Oberbaumeisters“ und „Landbauingenieurs des Fürstbistums Münster“ vollendet werden konnte. Wobei sich die Frage aufdrängt, warum hier Kurköln und Münster in einem Atemzug genannt werden. Die Antwort: Schlaun stand in Diensten des Kölner Kurfürsten und Erzbischofs Clemens August, zu dessen vielen Würden auch das Amt des Bischofs von Münster gehörte. Der Baumeister war für seinen mächtigen Landesherrn vorwiegend in Westfalen tätig, allerdings nicht ausschließlich: Er entwarf auch die kurfürstliche Schlossanlage Augustusburg in Brühl bei Köln, die seit 1984 – zusammen mit dem nahen Schlöss-chen Falkenlust und den umgebenden Gärten – auf der Liste des UNESCO- Weltkulturerbes steht.
Mit dem Rüschhaus, das Schlaun 1745–49 als Mischung aus bäuerlichem Gräftenhof und ländlichem Herrensitz errichtete, schuf sich der Architekt einen eigenen ländlichen Sommersitz. Dafür ließ er ältere Gebäude zugunsten eines rechteckigen Haupthauses mit zwei flankierenden Nebenbauten abbrechen und sämtliche Fassaden in den traditionellen Baumaterialien des Münsterlandes ausführen – rotem Back- und gelbem Sandstein. Doch so klar gegliedert und leicht überschaubar uns Haus Rüschhaus auf den ersten Blick erscheinen mag, die Architekturgeschichte konnte nie ganz klären, an welche gestalterischen Vorbilder Schlaun mit der Anlage eigentlich anknüpfte. Man hat unter anderem auf mögliche italienische Einflüsse aus dem 16. Jahrhundert hingewiesen, das Gut allerdings auch schlicht als den „außergewöhnlichsten Bauernhof der Barockzeit“ bezeichnet.
Die Tür zum Altar
Tatsächlich diente das Haupthaus nicht nur zu Wohnzwecken, sondern umfasste hofseitig auch Kuh- und Pferdeställe. Ausgesprochen ländlichen Charakter hatte zudem die Küche mit ihrem großen Herdfeuer, und selbst im Garten setzte Schlaun nicht allein auf barocke Geometrie, sondern plante praktisch nutzbare Gemüsebeete mit ein. Gleichwohl war er als Architekt und Offizier in fürstlichen Diensten natürlich kein Teil der bäuerlichen Welt – der gediegene Salon im Wohntrakt auf der Gartenseite des Rüschhauses lässt daran keinen Zweifel aufkommen, bietet mit einem ausklappbaren Hausaltar, der sich hinter einer zweiflügeligen Tür verbirgt, vielmehr ausgesprochene Raffinesse. Im Übrigen verwickelte sich der Herr des Rüschhauses in einige recht heftige Konflikte mit den Menschen im ländlich geprägten Nienberge. p Insbesondere durch sein kompromissloses Bestehen auf Wegerechten, die er mittels Schlagbäumen durchzusetzen versuchte, erboste er die bäuerliche Bevölkerung rund um seinen Sommersitz zeitweilig so sehr, dass 1753 sogar seine Kirchenbank zerschlagen wurde.
Schreibstube der Dichterin
Viel bekannter als der Architekt des Rüschhauses wurde dessen prominenteste Bewohnerin: Von 1826 bis 1846 lebte die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff auf dem Gut, die 1797 auf der nur wenige Kilometer entfernten Burg Hülshoff in Havixbeck zur Welt gekommen war. Ihr Vater hatte Haus Rüschhaus kurz vor seinem Tod im Jahr 1825 erworben. Etwa aus dieser Zeit stammen auch die Landschaftstapeten mit italienischen Szenerien im Raum neben dem Gartensaal, gefertigt von der Manufaktur Joseph Dufour. Und ebenfalls um 1825 ließ man das Gewächshaus im Garten errichten, der damals allerdings zunehmend verwilderte und Schlauns barocke Gestaltung erst in den 1980er Jahren zurückerhielt. Mit Annette von Droste-Hülshoff zogen seinerzeit ihre Mutter, ihre Schwester Jenny und ihre einstige Amme Maria Katharina Plettendorf ins Rüschhaus ein. Mit letzterer, zu der sie ein sehr enges Verhältnis hatte, teilte die Dichterin drei Zimmer im Zwischengeschoss des Haupthauses. Eins davon nannte sie selbst ihr „Schneckenhäuschen“ – eine Wohnstube mit niedriger Zimmerdecke und Fensterdurchblick zur darunter gelegenen Küche. Hier schrieb sie die berühmte Erzählung „Die Judenbuche“, saß aber auch gern am Klavier oder ruhte auf einem Sofa. Nach dem Tod der Autorin, die 1848 in Meersburg am Bodensee starb, blieb Haus Rüschhaus noch lange Besitz der Familie Droste-Hülshoff. 1949 als Museum eröffnet, gehörte es später zeitweilig der Stadt Münster. Um es dauerhaft für die Öffentlichkeit zu bewahren, wurde es 2011 von der NRW-Stiftung erworben, die es ihrerseits der Annette von Droste zu Hülshoff-Stiftung zur Nutzung überlassen hat. So konnte die Anlage in das Konzept des heutigen „Centers for Literature“ integriert werden, das seinen Hauptsitz unter der Leitung von Dr. Jörg Albrecht auf Burg Hülshoff hat. Das Rüschhaus steht dem Publikum daher nicht nur bei Führungen offen, sondern auch bei vielen literarischen Veranstaltungen.
Text: Ralf J. Günther
Museum unterwegs
Die enge Verbindung zwischen Haus Rüschhaus und Burg Hülshoff, wo 2018 das „Center for Literature“ unter der künstlerischen Leitung des Autors Dr. Jörg Albrecht eröffnet wurde, ist seit 2021 als „Droste-Landschaft: Lyrikweg“ ausgewiesen. Die sieben Kilometer lange Strecke, die Annette von Droste-Hülshoff selbst oftmals gegangen ist, wurde dafür mit verschiedenen Stationen zu einer Art Outdoor-Museum gestaltet, das es ermöglicht, historische und moderne Texte unter freiem Himmel zu erleben sowie Informationen zur Landschaftsgeschichte zu erhalten. Eine Handy-App lädt dabei auf Wunsch Bilder, Hörmaterial und ein Sammelspiel aufs Smartphone.
Blickpunkt
Der Erwerb von Haus Rüschhaus durch die NRW-Stiftung und seine Nutzung durch die 2012 gegründete „Annette von Droste zu Hülshoff-Stiftung“ hat wesentlich zur Bewahrung der beiden Kulturorte Rüschhaus und Hülshoff für die Öffentlichkeit beigetragen. Die 2015 verstorbene Jutta Freifrau von Droste zu Hülshoff brachte Teile ihres Erbes in das Projekt ein, für das sich zudem LWL, Land NRW, Bund, mehrere Kommunen sowie private Förderer eingesetzt haben.