Auen-Wildnis vor den Toren der Großstadt

Urdenbacher Kämpe

Hochwasser in der Urdenbacher Kämpe

Foto: Werner Stapelfeldt

Vor elf Jahren öffneten Bagger im Süden Düsseldorfs einen Sommerdeich am Rhein und befreiten den Urdenbacher Altrhein aus seinem Korsett. Seitdem erobert sich die Natur ihr verloren gegangenes Refugium im Eiltempo zurück. Für die Menschen im Ballungsraum um die NRW-Hauptstadt entstand ein Naturschutz- und Erholungsgebiet der Extraklasse.
 

Auen-Wildnis vor den Toren der Landeshauptstadt: So präsentiert sich der Urdenbacher Altrhein elf Jahre nach der Öffnung des Sommerdeichs im April 2014. Graureiher hocken auf umgestürzten Pappeln, die sie als Sitzwarten nutzen, um Fischen oder Fröschen aufzulauern. Eisvögel flitzen im schnellen Flug niedrig über das Wasser, und Weidengebüsch, Schilf und Röhricht machen sich wieder dort breit, wo früher wenig mehr als Brennnesseln wuchs. Im Frühling erschallt aus vielen Kehlen unablässig der Gesang von Nachtigallen; Mittelspechte hacken im Totholz nach Larven. Sogar Weißstorch, Schwarzmilan und der Biber sind nach einem Jahrhundert der Abwesenheit in ihren angestammten Lebensraum zurückgekehrt. Kein Zweifel: Mit dem Wasser hat auch die Natur am Urdenbacher Altrhein wieder Einzug gehalten. 


Baggern für den Naturschutz

Zu verdanken ist das neue Naturparadies zwischen Düsseldorf und Monheim einer Maßnahme, die vor elf Jahren nach langer Planung in die Tat umgesetzt wurde. Damals öffneten Bagger einen in den 1950er Jahren gebauten Sommerdeich im Rheinvorland an zwei Stellen in Düsseldorf-Urdenbach und -Hellerhof. Zwar ist die Urdenbacher Kämpe eine der ganz wenigen Rheinauen in NRW, in die das Wasser des Stroms bei Hochwasser frei einströmen kann, weil es keinen Deich unmittelbar am Rhein gibt. Aber bis zum Öffnen des weiter landeinwärts gelegenen Sommerdeichs erreichte das Wasser die hinteren Bereiche der Aue nur noch bei sehr hohen Wasserständen. Auch der Urdenbacher Altrhein verlor so die Verbindung zur natürlichen Dynamik in der Stromaue.

Statt eines kompletten Rückbaus des 2,5 Kilometer langen Deichs entschlossen sich die Verantwortlichen zur Deichöffnung an zwei Stellen auf jeweils rund 20 Metern. Für den Wasserdurchlass erwies sich das als ausreichend – und auf diese Weise konnte auch der auf dem Deich verlaufende beliebte Wanderweg erhalten bleiben. Zwei Brücken sorgen dort nun für eine durchgängige Verbindung des  Deichwegs.


Hochwasserschutz mit der Natur

Heute ist die Urdenbacher Kämpe ein Vorzeigebeispiel für ein erfolgreiches Zusammenspiel von Naturschutz und Hochwasservorsorge mit der Natur in Zeiten des Klimawandels. Bei Hochwasser ergießt sich die Wasserfracht des Stroms in die Auenwiesen des Rheinvorlandes und federt so die Hochwasserspitzen für die weiter stromabwärts gelegenen Ballungszentren ab. In den temporär vom flachen Wasser überschwemmten Wiesen entsteht für einige Wochen ein wertvoller Lebensraum auf Zeit. Zieht sich der Rhein in sein Bett zurück, erstreckt sich in der Aue eine weitläufige niederrheintypische Landschaft aus Auenwiesen und Streuobstweiden. Das Wasser des Stroms spielt dabei weiter eine Rolle, denn die vom Hochwasser gespeisten feuchten Senken und Tümpel sind wie der Urdenbacher Altrhein selbst Lebensraum zahlreicher Amphibien und Pflanzen. Vorkommen andernorts bereits verschwundener Pflanzenarten wie des Sumpf-Greiskrauts oder des Großen Wiesenknopfs stellen dem Gebiet ein erstklassiges ökologisches Zeugnis aus. Gleiches gilt für Amphibien wie den Kammmolch und Fischarten wie Groppe, Steinbeißer und Aal, die in den verschlungenen Flachwasserzonen laichen.

Das Tempo, in dem sich der Altrhein wieder zu einem wertvollen Ökosystem entwickelt, erstaunt sogar Fachleute. „Wir wussten, dass nur mit dem Wasser auch das Leben wieder in den Altrhein zurückgebracht werden kann“, sagt Elke Löpke. „Dass aber so schnell eine am Niederrhein so einmalige Auenlandschaft entsteht, hat auch uns umgehauen“, freut sich die wissenschaftliche Leiterin der Biologischen Station Haus Bürgel. „Die Größe der auch europaweit als besonders wertvoll angesehenen Lebensraumstrukturen hat sich vervielfacht“, berichtet Löpke.

Die Renaturierung hatte anfangs aber nicht nur Freunde. Einige Anwohnerinnen und Anwohner befürchteten eine sommerliche Mückenplage durch das Wasser. Doch Wissenschaftler konnten die Bedenken zerstreuen – und sie sollten recht behalten. Denn Mücken brauchen zur Massenentwicklung warmes, stehendes Wasser. Die Versorgung der Urdenbacher Kämpe vorwiegend über fließendes Wasser oder aus dem Grundwasser ist in der Regel zu kühl für die aus dem Oberrheingraben bekannten Massen­vermehrungen von Mücken. Außerdem hat sich mit dem Wasser eine reichhaltige Nachfrage nach Insekten und ihren Larven in der Aue entwickelt: Vögel, Frösche, Libellen und Fische halten sie in Schach. Das Wissen um die wichtige natürliche Funktion von Insekten als Nahrung für andere Tiere in einem Ökosystem hilft vielleicht auch, gelegentliche Mückenstiche zu ertragen. Denn, wenn die Aue komplett mückenfrei wäre, wäre sie keine wirkliche Aue. 

Stationschefin Löpke weiß aus zahlreichen Gesprächen, dass die Renaturierung das Gebiet auch für Besucherinnen und Besucher und die Anwohner noch attraktiver gemacht hat. Sie spricht von einer “Win-win-Situation für Mensch und Natur“. „Die Menschen schätzen das Kleinod vor der Haustür“, sagt sie. „Und sie schützen es“, hat Löpke beobachtet. „Man spricht sich an, wenn sich jemand nicht an die Regeln hält.“ Und was wünscht Löpke sich für die nächsten zehn Jahre in der stadtnahen Wildnis? „Die Rückkehr von Fischotter, See- oder Fischadler“, nennt sie als weitere Etappenziele. Ausgeschlossen ist das nicht.  

Text: Thomas Krumenacker

 

Blickpunkt

Die Renaturierung der Urdenbacher Kämpe ist ein Gemeinschaftswerk von NRW-Stiftung, Stadt Düsseldorf, der Biologischen Station Haus Bürgel und weiterer Partner. Herzstück des Projekts war der Erwerb von insge­samt rund 160 Hektar Land durch die NRW-Stiftung über viele Jahre hinweg. Der Schutz für die Rheinaue vor den Toren der Landeshauptstadt gehört zu den ältesten Projekten der Stiftung, ebenso wie die Förderung für die Biologische Station Haus Bürgel, die das Gebiet naturschutzfachlich betreut.