Der internationale Platz Vogelsang, kurz Vogelsang IP, ist ein Zentrum für Kultur, Bildung und Erlebnis mitten im Nationalpark Eifel. Die Natur hat hier überragende Bedeutung, doch betritt man zugleich einen Schauplatz folgenschwerer Geschichte des 20. Jahrhunderts. Beide Aspekte spiegeln sich in einer Reihe von Projekten, die die NRW-Stiftung in und um Vogelsang gefördert hat – inklusive Blick zu den Sternen.
Seit 2004 erstreckt sich der Nationalpark Eifel rund um die 1905 errichtete Urfttalsperre, eine der ältesten Staumauern Deutschlands, die einst ein technisches Projekt europäischen Ranges war. Den besten Blick auf den See und die Ausbreitung der wilden Natur ringsum bietet der Turm der ehemaligen OrdensburgVogelsang. Man steht hier aber nicht auf uralten Zinnen aus dem vermeintlich finsteren Mittelalter. Die „Burg“ wurde vielmehr 1934–36 in den dunklen Zeiten des Nationalsozialismus gebaut. Mit rund hundert Hektar zählt sie zu den größten erhaltenen Baukomplexen aus der Nazizeit.
Bestimmung: Herrenmensch
Ordensburgen – darunter verstand das Dritte Reich monumentale Schulungsstätten für junge Männer, sogenannte Junker, die einmal führende Positionen in der NSDAP bekleiden sollten. Es gab drei dieser Anlagen: Vogelsang in der Eifel, Krössinsee im heutigen Polen und Sonthofen im Allgäu. Wie die Ausstellung „Bestimmung: Herrenmensch“ auf Vogelsang zeigt, wurden die beiden ersten von dem in Hitlerdeutschland als „gottbegnadet“ geltenden Architekten Clemens Klotz entworfen. Auf ihn geht auch Prora zurück, das als gigantische Bauruine liegengebliebene Seebad der NS-Organisation „Kraft durch Freude“ auf Rügen. Klotz plante sogar die radikale Umgestaltung seiner Heimatstadt Köln, wo sein Vater Besitzer ausgerechnet des Hänneschen-Theaters gewesen war, urkölscher Tradition im Puppenspiel. Der Krieg verwandelte die absurde Gigantomanie des Dritten Reichs in die noch fatalere Absurdität totaler Zerstörung. Die ohnehin nie ganz vollendete Ordensburg Vogelsang erlebte ebenfalls beträchtliche Kriegseinwirkungen. Überdies endete die hier eigentlich angestrebte Heranbildung einer NS-Partei- und Verwaltungselite schon mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Die meisten Ordensjunker wurden damals rasch eingezogen. Viele von ihnen waren später an Kriegsverbrechen beteiligt.
Camp Vogelsang
In den letzten Jahren vor Kriegsende wohnten Internatszöglinge der Adolf-Hitler-Schulen auf Vogelsang. Danach übernahm zunächst britisches und von 1950 bis 2005 belgisches Militär die Anlage, die jetzt zum Zentrum eines über sechstausend Hektar großen Truppenübungsplatzes wurde. Für das kleine Eifeldorf Wollseifen auf der Dreiborner Hochfläche – unweit von Vogelsang und heute Teil des Nationalparks – sollte das bittere Folgen haben. Schon beim Nahen der Front im Januar 1945 hatten die dort lebenden Menschen den Ort räumen müssen, waren aber nach Kriegsende zurückgekehrt. Doch im August 1946 wurden sie von den Briten aufgefordert, ihre Heimat erneut zu verlassen. Diesmal war es ein Abschied für immer, denn das Dorf wurde in der Folge als Ziel von Artillerieübungen nach und nach dem Erdboden gleichgemacht. Abgesehen von einem Trafohäuschen und einer kleinen Wegkapelle blieben nur die Kirchenruine und das Erdgeschoss des ehemaligen Schulhauses stehen. Stattdessen wuchsen auf dem Gelände leere Kulissenbauten empor, um Häuserkämpfe zu trainieren. Soweit diese Rohbauten noch vorhanden sind, stehen sie heute als Fledermausunterkünfte im Dienste der Natur. Aufgrund ihres hohen Symbolwerts für die Folgen der Nazidiktatur und die Zeit des Kalten Krieges wurde die Ruine der Dorfkirche 2008 mithilfe der NRW-Stiftung als Gedenkstätte saniert. Der „Traditions- und Förderverein Wollseifen“ setzte sich darüber hinaus für die Nutzung des alten Schulgebäudes als Informationsort ein. Die NRW-Stiftung unterstützte auch diese Idee, so dass in dem Haus inzwischen eine barrierefreie Präsentation aus Wandtafeln und Schaupulten die Schicksale Wollseifens erläutert. Der Dachbereich wurde ebenfalls für Fledermäuse hergerichtet.
Das Humanitarium
Nachdem die Briten das „Camp Vogelsang“ 1950 an das Militär aus dem nahen Belgien übergeben hatten, kam es zur Wiederherstellung einer Reihe kriegsbeschädigter Gebäude auf dem Gelände, nicht zuletzt der Häuser, die Clemens Klotz unterhalb des Hauptbaus auf großen Terrassen positioniert hatte. Diese sogenannten Kameradschaftshäuser, die von den Belgiern als Soldatenunterkünfte genutzt wurden, sind heute teilweise öffentlich zugänglich – zwei davon unter der Bezeichnung „Humanitarium“ als Museum zur Geschichte des Roten Kreuzes. Die starke Symbolwirkung des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds an einem Schauplatz des NS-Größenwahns liegt auf der Hand. Allerdings entstand die größte humanitäre Organisation der Welt nicht als Reaktion auf die Kriege und Katastrophen des 20., sondern des 19. Jahrhunderts. Der Schweizer Geschäftsmann Henry Dunant wurde durch das Elend der rund 25.000 Verwundeten von Solferino aufgeschreckt, wo 1859 eine verheerende Schlacht im italienischen Unabhängigkeitskrieg gegen Österreich stattgefunden hatte. Aus Dunants Initiative erwuchs 1863 die Organisation, die neun Jahre später den Namen „Internationales Komitee vom Roten Kreuz“ (IKRK) erhielt. Das 2011 eröffnete Rotkreuz-Museum in Vogelsang nutzte anfangs nur eins der Kameradschaftshäuser. 2019 wurde ein zweites unter dem Namen „Haus Nordrhein“ hinzugenommen. Es erzählt die Geschichte der Organisation in Deutschland parallel zu regionalen und lokalen Entwicklungen im Rheinland. Vogelsang wurde auf diese Weise zum Standort des größten Rotkreuz-Museums in der Bundesrepublik, des drittgrößten weltweit. Die NRW-Stiftung half dabei, die neue Nutzung des Kameradschaftshauses denkmalgerecht und barrierefrei umzusetzen.
Das Lichtschutzgebiet
Der Nationalpark Eifel ist einer der wenigen Orte Deutschlands, wo Sterne fast noch so funkeln, als gäbe es weder Neonreklamen und Scheinwerfer noch gar die Lichtglocken ganzer Städte. Tausende jüngst gestarteter Satelliten bleiben zwar auch in der Eifel nicht völlig unsichtbar, gleichwohl trägt der Nationalpark als sogenanntes Lichtschutzgebiet seit 2019 den bestätigten Titel „Internationaler Sternenpark“. Der Antrag bei der „International Dark Sky Association“ wurde von Harald Bardenhagen und seiner Astronomie-Werkstatt „Sterne ohne Grenzen“ engagiert begleitet. Der Nationalpark, der Naturpark Nordeifel, der Kreis Euskirchen, die Städte Schleiden und Heimbach sowie Vogelsang IP arbeiteten dafür gemeinsam an der Reduzierung künstlichen Lichts und an touristischen Angeboten zur Sternenbeobachtung. Beim Naturparkwettbewerb 2021 des NRW-Umweltministeriums erreichte der Naturpark Nordeifel mit dem Projekt „Unterm Sternenzelt – Eifel bei Nacht“ den ersten Platz, zur Freude auch der NRW-Stiftung als Unterstützerin der Lichtschutzziele.
www.sterne-ohne-grenzen.de
Kultur im Kino
In den Jahren 1953/54 errichtete das belgische Militär im Camp ein großes Truppenkino mit über tausend Plätzen. Als Vogelsang 2006 öffentlich zugänglich wurde, nutzte man dieses Kino zeitweilig als Besucherzentrum. Heute steht für diejenigen, die den internationalen Platz erkunden wollen, das „Forum Vogelsang IP“ als Anlaufstelle zur Verfügung, untergebracht in einer Stahl- und Glaskonstruktion als bewusstem Kontrast zur NS-Architektur. Das sanierte Lichtspielhaus sorgt hingegen als „Belgisches Kulturkino“ bei Veranstaltungen vom Konzert bis zur Kleinkunst mit seinem Orchestergraben, den Kupferlampen und den Wandbespannungen aus Kunstleder für festliche Atmosphäre. Dank des 2014 gegründeten Vereins der „Film- & Kinofreunde Vogelsang IP“ ist sogar historische Vorführtechnik aus der Ära des großen Zelluloid-Glamours in das denkmalgeschützte Filmtheater zurückgekehrt. Die NRW-Stiftung half dem Verein beim Erwerb von zwei 35-Millimeter-Projektoren mit genügender Lichtstärke für die über fünfzig Meter entfernte Leinwand. Technische Neuerungen werden im Kulturkino deswegen aber nicht missachtet. Neuerdings verfügt es über einen Laser-Projektor, der seine Leistungsfähigkeit im Mai 2023 mit Highlights vom internationalen Naturfilmfestival Green Screen unter Beweis stellte.
Bildungshaus für den Naturschutz
Naturvermittlung hat auf Vogelsang IP als Sitz des Nationalparkzentrums hohe Bedeutung – zum Beispiel in der Erlebnisausstellung „Wildnis(t)räume“. Doch eigene Wandererlebnisse werden dadurch natürlich nicht überflüssig. Neben dem 2009 eröffneten Eifelsteig stehen dafür mehrere Routen im Zeichen des Eifeltigers zur Verfügung. Gemeint sind Strecken, die durch eine stilisierte Wildkatze als Teil des Wildnis-Trails ausgewiesen sind, der den Nationalpark in vier Etappen erschließt. Da letzterer mitten im grenzüberschreitenden deutsch-belgischen Naturpark Hohes Venn-Eifel liegt, wäre für Interessierte zudem eine Begegnung mit NABEAR zu erwägen. NABEAR? Dahinter verbirgt sich kein Teddybär mit eigenwilliger deutsch-englischer Rechtschreibung und besonderem Bedürfnis nach kuscheliger Nähe, sondern das „Naturschutz-Bildungshaus Eifel-Ardennen-Region“. Der lange Name steht für eine Naturerlebnis- und Bildungsgenossenschaft mit noch längerer Mitgliedsliste, die außer zahlreichen regionalen Naturschutzgruppen, insbesondere des NABU, auch den Förderverein des Nationalparks sowie belgische Partnerorganisationen umfasst. Seit Juli 2022 bietet die Vereinigung in einem der Kameradschaftshäuser Vorträge, Kurse und Ausstellungen zu Naturthemen an, nicht zuletzt für Schulklassen und Lehrkräfte. Die NRW-Stiftung unterstützte die Grundausstattung des Hauses unter anderem mit optischen Geräten zur Artenbestimmung.
Text: Ralf J. Günther
Blickpunkt
Die NRW-Stiftung förderte den „Traditions- und Förderverein Wollseifen“ beim Gedenkort St. Rochus und bei der Präsentation im Schulraum. Die „Film- und Kinofreunde Vogelsang IP“ erhielten Mittel für historische Projektoren. Für Barrierefreiheit im Rotkreuzmuseum sorgte der DRK-Kreisverband Euskirchen. Unterstützt wurde zudem das „Naturschutz-Bildungshaus Eifel-Ardennen Region“.
www.drk-eu.de
www.nabear.de