Die rheinisch-westfälische Wirtschaftsgeschichte ist zu einem erheblichen Teil Montangeschichte. Man denkt dabei natürlich zuerst an die Schwerindustrie des Ruhrgebiets oder des Aachener Reviers, doch es gab auch frühneuzeitliche Holzkohlehochöfen und mittelalterliche Erzgruben. Im Siegerland etablierte sich die Metallproduktion sogar schon vor über zweitausend Jahren, als keltische Hüttenleute hier Eisen in hoher Qualität herstellten. Die Ausgrabungen an dem bedeutenden Verhüttungsplatz Gerhardsseifen werden jetzt unter einem speziellen Schutzbau präsentiert.
AUA! Der lautstarke Schmerzensschrei von Caius Julius Cäsar füllt eine ganze Sprechblase. Verständlich, denn soeben hat ihm der stolze Keltenfürst Vercingetorix – zwar besiegt, aber ungebeugt – seine Waffen nicht vor, sondern direkt auf die Füße geschleudert. Zusätzlich zu Cäsars Klagelaut hallt daher ein schepperndes „Peng!“ durch das Eröffnungsbild des Comicalbums „Asterix und der Arvernerschild“. Man kann die Lautmalerei als Hinweis darauf nehmen, dass die keltische Geschichte nicht nur sagenumwoben ist, sondern durchaus auch harte Fakten zu bieten hat – eisenharte Fakten sogar, denn richtig scheppern können Waffen und Werkzeuge ja nur, wenn sie wenigstens zum Teil aus Metall bestehen.
Röstplatz und Schlackenhalde
Tatsächlich waren keltische Hütten- und Schmiedeleute schon vor über zweitausend Jahren äußerst geschickt bei der Herstellung von Eisen und Stahl. Die größten Verhüttungsöfen Mitteleuropas standen damals aber nicht in Gallien, sondern im Siegerland. Besonders die Fundstelle „Gerhardsseifen“ hat sich für die Archäologie als ergiebig erwiesen. Hier im Grenzgebiet von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz konnte ein „Röstplatz“ mit den Überresten von zwei Verhüttungsöfen freigelegt werden, man fand darüber hinaus ein Schmiedegelände sowie eine Schlackenhalde. All das diente wohl hauptsächlich der Herstellung von Werkzeugen, die für den Alltag wichtiger waren als Waffen.
Die Fachleute der LWL-Archäologie für Westfalen, der Bochumer Ruhr-Universität und des Deutschen Bergbau-Museums Bochum sammelten aber noch weitere Erkenntnisse. So zeigten archäologische Experimente, dass die keltischen Öfen einem wochenlangen Dauerbetrieb standhielten.
Um die Funde von Gerhardsseifen zu sichern, dabei aber nicht den Blicken der Öffentlichkeit zu entziehen, wurde mithilfe der NRW-Stiftung ein aufwendiger Schutzbau errichtet. Er besteht themengerecht weitgehend aus Stahl, funktioniert aber zugleich wie eine riesige Vitrine: In zwei Beobachtungsnischen können die Rollos vor den großen Fenstern per Knopfdruck von außen geöffnet werden, um die Ausgrabungen in Augenschein zu nehmen. Lichtinstallationen und Audioinformationen führen dabei durch die eisenzeitlichen Produktionsprozesse, die auf sogenannten Renn-öfen basierten. Letztere werden so genannt, weil die Schlacke nach unten in den Ofen rinnt („rennt“) und sich gleichzeitig eine Luppe darüber bildet, die zu verwendbarem Eisen ausgeschmiedet werden kann.
Ein Siegerländer Tal
Gerhardsseifen ist nicht der Name eines Dorfes oder einer Siedlung, das Wort „Seifen“ – in einigen Gegenden auch „Siepen“ – bezeichnet vielmehr einen kleinen Bachlauf. Der Gerhardsseifen, der sich durch das Dreiborntal in Siegen-Niederschelden zieht, lieferte den Hüttenleuten vor zweitausend Jahren das nötige Wasser zum Bau ihrer Rennöfen, die aus Lehm gefertigt wurden. Erze und Brennholz kamen aus den umliegenden Waldgegenden. Dauerhafte Wohnplätze unterhielten die Kelten in der Nähe der Verhüttungsanlagen hingegen nicht – die Eisenproduktion war offenbar eine Saisonarbeit.
Die Grabungsstätte Gerhardsseifen ist von europäischer Bedeutung. Daher haben sich verschiedene Initiativen und Körperschaften zum Trägerverein „Ein Siegerländer Tal“ zusammengeschlossen, der auf das Thema aufmerksam machen und es stärker im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankern möchte. Vertreten sind die Waldgenossenschaft Niederschelden, der Kreis Siegen-Wittgenstein, die Stadt Siegen sowie mehrere Heimatvereine auch aus dem benachbarten Rheinland-Pfalz. Sie alle haben sich dafür eingesetzt, die Fundstelle nicht nur zu bewahren, sondern auch anschaulich zu erläutern. Dabei war Rücksicht auf das Naturschutzgebiet geboten, in dem der Fundplatz liegt. Womit zum Schluss nur noch der Hinweis bleibt, dass wir zwar durchaus Metallwaffen aus der Keltenzeit kennen, dass aber ausgerechnet der Schild des Vercingetorix vermutlich eher aus Holz und Leder bestanden haben dürfte.
Text: Ralf J. Günther
Zeitreise rückwärts
Der Fundort Gerhardsseifen lässt sich per Wanderung auf dem neuen, achthundert Meter langen „EisenZeitReiseWeg“ ansteuern, auf dem die Geschichte rückwärts läuft. Beginnend mit dem Thema „Stahl und Menschen heute“ bewegt man sich anhand von zwölf Informationsstationen durch die verschiedenen Epochen der Eisengewinnung und -verarbeitung, bis man bei den Kelten am Ziel ist. Übrigens umfasst die Ausgrabungsstätte selbst verschiedene Zeitschichten, denn im hohen Mittelalter wurde hier erneut Eisen produziert, wenn auch auf geringerem technischen Niveau als bei den Kelten. In der frühen Neuzeit arbeiteten ebenfalls Menschen am Fundplatz – die Überreste zweier Kohlenmeiler des 17. Jahrhunderts beweisen es.
Blickpunkt
Die NRW-Stiftung half dem Trägerverein „Ein Siegerländer Tal“ bei Bewahrung und Vermittlung des Verhüttungsplatzes Gerhardsseifen in Siegen-Niederschelden. Hier kooperieren sieben Heimat- und Geschichtsvereine aus NRW und Rheinland-Pfalz mit dem Kreis Siegen-Wittgenstein, der Stadt Siegen, den Gemeinden Mudersbach und Brachbach (RP) sowie dem Heimatbund Siegerland-Wittgenstein.
www.einsiegerlaendertal.de